Jahrbuch 2007-2008
15 Schule Plinius VI , 20 (Eigene Erlebnisse beim Vesuvausbruch) Gaius Plinius grüßt seinen Freund Tacitus Du sagst, daß Du, durch den Brief, den ich Dir auf DeinenWunsch hin, über denTod meines Onkels, geschrieben habe zu erfahren wünscht, was ich, in Minsenum zurückgeblieben (nachdem ich mich mit demThema befaßt hatte, habe ich es abgebrochen) nicht nur an Furcht, sondern auch an Phasen ertragen habe: „Ich werde anfangen, obwohl der Geist sich scheut sich zu erinnern.“ Nachdem mein Onkel aufgebrochen war, verbrachte ich selbst die übrige Zeit mit Studien (deshalb war ich nämlich zurückgeblieben). Bald badete ich, aß etwas und schlief unruhig und kurz. Viele Tage vorausgegangen war ein weniger furchter- regendes Erdbeben, da es in Campiania gewohnt war. in jener Nacht jedoch wurde es so stark, daß man glauben konnte, alles würde nicht nur schwanken, sondern sogar einstürzen. Die Mutter stürzte in mein Schlafzimmer. Ich erhob mich selbst, um sie zu wecken, falls sie schlafen sollte. Wir setzten uns in den Hof des Hauses, den das Meer im geringem Abstand vom Haus trennte. Ich zweifle, ob ich es Standhaftigkeit, oder Sorglosigkeit nennen soll (ich war nämlich 18 Jahre alt). Ich verlangte ein Buch von Titus Livius , und gleichsam laß ich in Muße und machte Auszüge, wie ich begonnen hatte. Siehe, der Freund des Onkels, der neulich aus Spanien zu ihm gekommen war, tadelte, als er sah, daß meine Mutter und ich saßen, und daß ich sogar las, deren Geduld und meine Sorglosigkeit. Nichtsdestotrotz war ich mit dem Buch beschäftigt. Schon war die erste Stunde des Tages und der Tag war noch dämmerig und zögernd [schlaff]. Nachdem die umliegenden Häuser schon erschüttert worden waren, war, obwohl an einem offenen, aber dennoch engen Raum, die Furcht groß und für einen Einsturz berechtigt. Da schließlich schien es uns gut, die Stadt zu verlassen: das bestürzte Volk folgte, und zog was in Furcht ähnlich der Klugheit ist, den fremden Plan dem eigenen vor, drängte und stieß uns, als wir weggingen in einen gewaltigen Zug. Nachdem wir die Häuser verlassen hatten, blieben wir stehen. Wir mußten viele wunderliche und fürchterliche Dinge erleiden. Denn die Wagen, die wir hatten hinausfahren lassen, rollte hin und her, obwohl sie auf einem sehr ebenen Gelän- de waren und nicht an der selben Stelle stehen blieben, auch wenn sie mit Steinen gestützt wurden. Außerdem sahen wir, daß das Meer zurückflutete und durch das Erdbeben gleichsam zurückgetrieben wurde. Die Küste war vorgerückt und viele Meereslebewesen wurden auf dem trockenem Sand zurückgehalten. Auf der anderen Seite wurde eine furchterregende schwarze Wolke von Feuerschein in Zickzacklinien zerrissen und spaltete sich in große Flammengebilde, jene waren Blitzen ähnlich, aber größer. Da aber sagte [eben] jener Freund aus Spanien heftiger und eindringlicher: „Wenn dein Bruder, [und] dein Onkel [noch] lebt, will er, daß ihr gesund seid [am leben bleibt]; wenn er umgekommen ist, hat er gewollt, daß ihr überlebt: Also was zögert ihr [noch] wegzugehen? „ Wir antwor- teten, daß wir es nicht soweit kommen lassen würden, daß wir, ungewiß über das Heil von jenem, uns um unsere [eigenes] sorgen. Ohne lange zu zögern stürzte er fort, und entzog sich im schnellen Lauf der Gefahr. Nicht viel spä- ter stieg jene Wolke auf die Erde herab, bedeckte das Meer, hatte Capri umgeben, das Vorgebirge von Minsenum verborgen, und es unseren Augen entzogen. Darauf bat meine Mutter, forderte auf und befahl mir, daß ich auf jede Weise fliehen sollte; als junger Mann nämlich könne ich fliehen, sie werde gerne sterben, da sie durch ihr Alter und ihrem Körper beschwert sei, wenn sie nicht der Grund des Todes für mich gewesen wäre. Ich sagte dagegen, daß ich nicht gesund sein werde, außer mit ihr; daraufhin erfaßte ich ihre Hand, und zwang sie, den Schritt zu beschleu- nigen. Sie gehorchte mit Mühe, und klagte sich an, weil sie mich aufhielt. Schon fiel Asche, bis jetzt jedoch selten. Ich sah mich um: Der dichte Rauch, welcher sich nach Art eines Sturzbaches über die Erde ergoß, bedrohte uns von hinten und verfolgte uns. Ich sagte: „ Laßt uns, solange wir sehen, den Weg verlassen, damit wir nicht in der Dun- kelheit von der Menge [der Begleitenden], die uns begleitete und sich verteilte, zertreten werden.“
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