Jahrbuch 2008-2009
41 Schule Liebe Schüler, endlich sollt ihr zum Abschluss unserer Zeit in Neubeuern eine Antwort bekommen. Eine Antwort auf etwas, das ihr schon lange wissen wolltet, aber nie zu fragen wagtet. Was macht eigentlich ein Schulleiter den ganzenTag? Ein Schulleiter ist jemand, der - aus wenig mehr machen soll (bisweilen auch „Verbesserung“ oder „Fort- schritt“ genannt), - der rivalisierende Gruppen wie Eltern und Lehrer miteinander versöhnt, - der chronisch besserwisserische Kritik geduldig erträgt, - der mit wenig Unterstützung auskommt, - der gewaltige Mengen von Papier umwälzt, - der auch in den Schulferien arbeitet, - der die Leistung seiner Mitarbeiter gerecht wahrnimmt, ohne sich jedoch damit selbst zu schmücken, - der die Gymnasiale Schulordnung so schülerfreundlich auslegt, dass das bayerische Kultusministerium sie kaum wiedererkennt, - und der einen so guten Kontakt zur nächsthöheren Instanz – zum lieben Gott nämlich - hat, dass sein nächtliches Flehen um erfolgreiche Abiturprüfungen meistens erhört wird. (Nur in ganz seltenen Fällen muss der Schulleiter auch schon einmal den lieben Gott korrigieren, der ja auch nicht immer alles wissen kann). Ein Schulleiter wird alle Freiheiten bekommen, die er sich wünscht, - aber er darf weder viel Geld ausgeben - noch kann er Personal auswechseln (weil es oft gar keins gibt) - noch darf er eine der vielen Gruppen und Gremien gegen sich aufbringen. Ihr seht, eine überaus abwechslungsreiche Arbeit! Abwechslungsreich und in jeder Hinsicht unterhaltsam war auch das, was ich hier in Neubeuern in sieben Jahren von Schülerseite erleben durfte: Ein anonymesWebforum gegen die Leitung, auf das per Post aufmerksam gemacht wurde; ein Buttersäureattentat auf mein Büro, wobei der Geruch erst nach einer Woche verflogen war; verklebte Türschlösser im gesamtenVerwaltungstrakt, die einen ganzenVormittag lang die kompletteVerwaltung außer Gefecht setzten; aus dem„heiligen“ Lehrerzimmer entwendete Klausurentwürfe, wobei mein ganzer detektivischer Scharfsinn gefordert war zu klären, wie eine elektronisch gesicherte Tür mehrmals überwunden werden konnte; illegale nächt- liche Partys im Mühlsteinbruch, nach denen frühmorgens die „Schnapsleichen“ in Schubkarren an meiner Wohnung vorbeigeschmuggelt werden sollten; völlig überraschende chemische Explosionen im Deutschunterricht, die eine sofortige Evakuierung des Klassenzimmers und einen Einsatz unserer Schulfeuerwehr vor den Augen begeisterter Schüler und Lehrer erzwang; oder ein von Schülern perfekt organisierter vorzeitiger Schulschluss am 11.11. um 11.11 Uhr, wobei die Schule im rheinischen Karnevalschaos versank … Diese Liste könnte ich noch um einiges verlängern, allein wenn ich an die (mehr oder weniger gelungenen) Abi-Scherze denke! Die Beispiele machen uns deutlich, dass Kreativität und Organisationstalent unserer Schüler zumindest im außerschulischen Bereich ungebrochen sind, was Anlass zu berechtigter Hoffnung auch für den eigentlichen Unterricht gibt. Und da manches immer noch ungeklärt ist, bitte ich diskret um sachdienliche Hinweise, damit ich meinen Seelenfrieden finden kann… ! Bevor nun aber noch etwas passiert, treten meine Frau und ich lieber die Flucht an! Aber einen Spruch möchte ich euch gerne noch zumNachdenken mit auf euren weiterenWeg geben. Er hängt im Büro von Herrn Müller und stammt von dem Schriftsteller Rudolf Borchardt , der viele Jahre gern gesehener Gast auf Schloss Neubeuern war: Alles muss sich erneuern in der Welt und in Neubeuern; Wenn in Neubeuern und in der Welt das Herz den alten Schlag behält. Nehmt dies als Aufforderung und Orientierung mit auf den Weg! Jürgen Gude
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