Jahrbuch 2012-2013
353 Vermischtes hatte. Heute hängt das Bild in der Neuen Pinakothek in München. Jan von Wendelstadt war ein großer Mäzen und Kunstfreund, der mit vielen namhaften Künstlern und Gelehrten befreundet war, die gerngesehene Gäste auf Schloss Neubeuern waren, ebenso wie zahlreiche Diplomaten und Politiker des deutschen Kaiserreichs. Von dem regen gesellschaftlichen Leben auf dem Schloss zeugen die wunderschönen Gästebücher, die teilweise ediert vorliegen. (www. gaestebuecher-schloss-neubeuern.de) Hofmannsthals Begeisterung für das Schloss Neubeuern und den Gutshof in Hinterhör haben, wie die ersten Briefzeugnisse zeigen, nicht allein mit der seit frühster Kindheit vertrauten Landschaft zu tun, sondern vor allem mit den Menschen, denen er dort begegnete und die es ermöglichten, dass ihm die oberbayrische Idylle zu einem Ort der Zuflucht, der ruhigen Tätigkeit, der anregenden (manchmal auf- regenden) Geselligkeit und – nicht zuletzt – zu einem Ort gepflegter und gelebter Freundschaft wurde. Zu denTeilnehmern der sog. „NeubeurerWoche“ (www.neubeu- rerwoche.de ) gehörten, neben den oben Genannten, auch Rudolf Borchardt, Rudolf Alexander Schröder, Rudolf Kassner, Annette Kolb und der Bildhauer Fritz Behn sowie viele andere Künstler. Die Gäste kamen meist Ende Dezember ins Schloss und blieben über Neujahr zusammen. In dieser Neubeurer Gemeinschaft ging es teil- weise sehr ausgelassen zu. Davon zeugen auch die Eintragungen in die in schweres Leder gebundenen Gästebücher des Schlosses, die zwischen 1906 und 1928 insgesamt 21 Besuche Hofmannsthals in Neubeuern und Hinterhör verzeichnen. Vor allem die witzigen Gedichte und Zeichnungen Rudolf Alexander Schröders geben ein anschauliches Bild der ausgelassenen Stimmung während der Neubeurer Wochen. Es ist schwer zu sagen, ob Neubeuern ohne die Begegnung mit der jungen Ottonie Gräfin Degenfeld für Hofmannsthal jemals diese Bedeutung erlangt hätte. Ottonie Gräfin Degenfeld muss einWesen ganz besonderer Art gewesen sein, die jeden Menschen, der ihr begegnete sofort für sich einnahm. Es ließ sich bislang keine einzige negative Äußerung über sie finden, nur bewundernde, ja begeisterte Schilderungen ihresWesens und Charakters. Die von Hofmannsthal und Kessler wurden bereits zu Beginn angeführt, doch auch Schröder, Kassner, Pannwitz, Carl Jacob Burckhardt und Borchardt kamen bei ihr ins Schwärmen. Letztgenannter schrieb 1918 an seine Mutter, als in Neubeuern verwundete Soldaten gepflegt wurden: „Es wirkt immer wieder wie ein Wunder mitanzusehen wie diese kleine von so viel kaum und schwer überstandener Krankheit und Kümmernis gebeutelte Person, […] in der seelischen Illusion, die sie hervorruft wie ein ewig Durcheinanderspiel von Jugendschönheit und zarter Weisheit wirkt – ohne daß man die Züge vereinzeln und aufsuchen könnte. Ihr Zauber ist die unermüdlichste leise Wohltätigkeit, das ständige Beschäftigtsein zumWohle anderer, und daß ihrWesen wie Trost und Heilung in alle Lücken tritt, die sich in ihrem menschlichen Kreise finden oder aufthun. Wie sie hier jedem ersetzt, was ihm am meisten fehlt, den Vater oder die Mutter, den Mann oder den Herrn, den Anhörenden oder den Anordnenden ist ein Schauspiel das man nicht ohne Bewegung sehen kann. Wäre sie fort, alles zerfiele und fiele übereinander her. Sie ist da und alles scheint vollkommen. Dabei ist das was sie thut nirgends festzustellen, sondern nur Schwebung und Hauch ihres richtigen beinah heiligen Wesens“. Diese Charak- terisierung ist gerade deshalb so interessant, weil sie sich mit Hof- mannsthals erstem Eindruck deckt, der die junge Gräfin als „eine Art Engel“ empfand und sofort sehr krank werden wollte, „um sich von ihr pflegen zu lassen“. Es steht außer Frage, dass der Briefwechsel zwischen Hof- mannsthal und Ottonie Gräfin Degenfeld mit Abstand der schönste und lebendigste im Werk des Dichters ist, „zutiefst human“, wie Ulrich Weinzierl schrieb, ein „Credo von Hofmannsthals Men- schenkunde“ und in seiner Art einzigartig. Er enthält auch einige der schönsten Liebesbriefe, die im 20. Jahrhundert geschrieben wurden, und sie zeigen eine einfühlsame, zärtliche Seite Hofmannsthals , wie sie sonst vor allem in seinen dichterischen Texten zu finden ist. In den meisten Beiträgen, die sich mit dem Verhältnis der beiden beschäftigten, stand das „Ariadne“ -Thema imVordergrund, also die Geschichte der durch einen furchtbaren Schicksalsschlag krank und Die Bibliothek in Hinterhör Die Sammlung mit Marie-Therese Miller Degenfeld in Hinterhör Widmung Hofmansthals für Ottonie in den Büchern
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