Jahrbuch 2012-2013

354 Vermischtes lebensmüde gewordenen jungen Frau, der Hofmannsthal mit einer Lesetherapie und besonderer Zuwendung denWeg zurück ins Leben wies. Die Gräfin gilt als Vorbild für die „Ariadne“. Ottonie wird die Rolle als Muse zugestanden, der das „Lied des Harlekin“ auf den Leib geschrieben war, das mit den Versen endet: Mußt dich aus dem Dunkel heben, Wär‘ es auch um neue Qual, Leben mußt du, liebes Leben, Leben noch dies eine Mal! Ottonie von Degenfeld hat diese Sicht der Dinge in vielen Ge- sprächen selbst überliefert und in ihren Lebenserinnerungen vom Mai 1948 angemerkt: „In meiner sehr schweren Krankheit stellten sich zwei Freunde mir tief verbunden zur Seite: mein Schwager Eberhard Bodenhausen und dessen Freund, der Dichter Hugo von Hofmannsthal . Ich war zu jung und zu tief an meinerWurzel getroffen worden, um allein aus dieser Trübsal herauszufinden; und ich kann nur sagen, dass diese zwei Männer in nie ermüdender Kraft mir, ohne dass ich es merkte, immer wieder Hilfestellungen gegeben haben, um mich wieder in den Alltag hineinfinden zu lassen“. Schöner hätte die wohltuende und heilendeWirkung der Dichtung auf das Leben nicht beschrieben werden können. Ein Erfolg der Hofmannsthal‘schen Literatur- und Lesetherapie. Hofmannsthal empfahl und verordnete der jungen Witwe Bü- cher, die er persönlich für sie zusammenstellte und in Paketen nach Neubeuern schickte. Im Briefwechsel finden sich viele Stellen, die auf diesesThema verweisen: „Die Bücher, die manchmal ankommen, drängen sich nicht auf als Lektüre, das wollen sie durchaus nicht, sondern es sollen Ihre Bücher sein, -nicht wahr, der Goethe wird Ihr Goethe sein, der Kleist Ihr Kleist ? denn solche Bücher sollen Sie nicht aus der Bibliothek in Neubeuern nehmen müssen, sondern die sollen in Hinterhör sein und zu Ihrer Existenz gehören und später für Marie-Thérèse “ - Das "Bücher-schicken", wie Ottonie etwas leichtsinnig bemerkt, nimmt Hugo ihr auch übel, was er dann auch deutlich in seinem Brief vom 22.12.1910 aus Rodaun äußert: „Ihre Bemerkung über Bücher-schicken macht mich etwas traurig. Ich kann sie weder ignorieren noch verstehen. Ich hatte gehofft, wir verstünden einander in dieser Sache vollkommen gut, wüßten, daß es sich um einen Plan handelt, um etwas Überlegtes, sozusagen notwendiges, nicht um „Schenken“. Sie sind doch sonst nicht gar so sehr aus Sondershausen“! (das thüringische Fräulein, wie Hugo sie auch häufig nennt) „Man „schenkt“ shawls, Reisekoffer, Perlenschnüre, Möpse, Par- fümflacons, aber man gibt jemandem Bücher, die er braucht, damit sie bei ihm sind...Zunächst muß ich mich daran halten und werde die Grimmschen Märchen, die für Sie zuWeihnachten bestimmt waren, nun Julie schenken als Märchentante für Marie-Thérèse ...Bitte seien Sie nicht krank - ich freue mich so.“ Die wertvolle Sammlung, die durch viele Raritäten aus dem Freundeskreis Ottonies erweitert wurde, war bis zum Tode Otto- nies 1970 in Hinterhör untergebracht. Ottonie ließ eigene Regale für die Sammlung anfertigen. Die Erbin der Sammlung, ihre Tochter Marie-Thérèse, ließ die Bücher nach dem Verkauf Hinterhörs 1980 in ihr Haus in Nußdorf bringen, wo sie bis vor kurzem untergebracht waren. Nach dem Tode der letzten Zeitzeugin, unserer Miss Miller 2005, erbte ihr Sohn Ralph die Bücher. Es war ein Glücksfall, dass Familie Miller nach den Gästebüchern auch die wertvolle Büchersammlung Schloss Neubeuern als Dauer- leihgabe zur Verfügung stellt. Sicher hinter einer neuen Verglasung untergebracht, haben wir viele wertvolle Zeugnisse der Literatur der Jahrhundertwende des 19./20. Jahrhunderts zur Verfügung. Herzlichen Dank für Informationen an Ellen Ritter (Bücher als Le- benshilfe) und Dr. JoachimSeng (noch unveröffentliches Manuskript zu Hofmannsthal in Neubeuern) Reinhard Käsinger Aktueller Artikel in der FAZ Rose-Marie Gräfin Degenfeld-Schonburg, der Sohn des Dichters Rudolf Borchardt, Cornelius mit Reinhard Käsinger vor der Sammlung zum Sommerfest 2013

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