Jahrbuch 2013-2014

143 Internat Welche Rolle die Unterschiede in den ver- schiedenen Kulturen dabei spielen können, wur- de mir in einem faszinierenden gemeinsamen Gespräch mit einem Mädchen aus Bulgarien und einem aus Russland klar, die mir einige sprachliche Unterschiede im Gebrauch von Um- gangsformen zwischen Deutschland und ihrem Mutterland erklärten: In Deutschland wird es als höflich und besonders wichtig angesehen, Situa- tionen, die schon klar erkennbareTatsachen sind, trotzdem noch einmal sprachlich zu wiederholen, sozusagen, als Handlungsbegleiter. In Russland und Bulgarien dagegen, so erzählen die beiden, würde man dies nicht machen, auch wenn da- durch eine sprachliche Pause in der Begegnung stattfindet. So reicht es in Russland, auf die Frage „Möchtest Du einen Fisch?“ mit „Ja!“ zu antworten. In Deutschland dagegen erwarte man eher eine Antwort wie „Ja gern, der sieht aber lecker aus!“. Jetzt wundere ich mich nicht mehr, warum ich von Silvia aus Bulgarien, Martina aus Rumänien und Svetlana aus Russland abends im Internat als Antwort auf meine Worte „Alles ok bei Dir? Wie war Dein Tag heute?“ oft nicht viel mehr als“ Ja, gut!“ erhalten habe. Bei den deutschen Schülerinnen dagegen werden mir ganze Romane erzählt: Was alles in der Schule und im Schloss los war und was morgen sein würde. Kein Wunder, dass ich abends den Kopf so voll habe, wenn ich um halb zwölf endlich wieder in meiner Wohnung bin - ich habe mehr deutsche als ausländische Schülerinnen in mei- ner Gruppe! Aber ich stelle fest, dass meine Schülerinnen eine Gesamtgruppe bilden, die sich gegenseitig akzeptiert und respektiert, auch die Individualisten unter ihnen, sodass es keinen Außenseiter gibt. Eine erfreuliche Erfahrung, die eine Reise wert ist! Svenja Neubert

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