Jahrbuch 2013-2014
189 Internat Schön, dass Ihr da seid. Ich will heute etwas erzählen, was ich an der Hochschule erlebt habe: Da gibt es jedes Jahr einmal einen Brückenbauwettbewerb. Bei diesemWettbewerb geht es darum, mit vorgegebenen Materialien eine Modellbrücke zu bauen – und diese wird dann auf ihre Stabilität getestet. Die stabilste Brücke gewinnt. Mitmachen darf jede und jeder, egal, was man studiert, und gespielt wird in Teams. Ganz verschiedene Ansätze zum Bau kann man da sehen: Zum einen die Rechner, meist die Statiker, die genau berechnen, wie sich die Stabilität steigern lässt und alles vom Computer exakt vorrechnen lassen. Und dann gibt es die Ausprobierer, die Ideen umsetzen und schauen, wie’s funktioniert. Und die Ästheten, die zusätzlich drauf schau- en, ob die Brücke auch gut aussieht. BeimWettbewerbsabschluss wird dann die Modellbrücke in einer Testanordnung der Belastung ausgesetzt – und zwar so lange, bis sie bricht – und die höchste Belastbarkeitsspitze, die sie aushält, exakt gemessen. Wenn dann so eine Brücke unter dem Druck sich biegt, ächzt und quietscht, halte schon viele die Luft an, ob sie die neue Bestmarke schafft. „Holz spricht, bevor es bricht“ ist ein typischer Spruch der Holztechnikstudenten, dazu. Eine besondere Brücke ist mir dabei für immer in Erinnerung geblieben: Es war eine Brücke, die so ziemlich aus einem Guss aussah und sehr stabil. VomMaterial hatte sie sogar noch ein wenig weggelassen (es war eine bestimmte Menge Sperrholz und Schnur vorgegeben) und nur eines verwendet, das Sperrholz, und auf intelligenteWeise verarbeitet. Der leitende Professor fragte noch, warum nicht alle Materialien (Schnur) verwendet worden waren (Antwort: „brauchen wir nicht“), und es war kurz die Frage, ob das regelkonform sei, aber es wurde so entschieden, dass die Materialvorgaben nur als Obergrenze zu verstehen sein. Die Brücke wurde also eingespannt und dann mit einem Lastwagenheber der Druck aufgebaut. Sie rührte sich nicht! Der Druck wurde Stück für Stück erhöht – die Brücke blieb unverändert ruhig, als ob nichts wäre. Noch mehr Druck – kein Zei- chen von Schwäche. Im Publikum gab es schon Ausrufe der Bewunderung, denn der Druck war da schon über dem bisherigen Rekord und kein Zeichen von Nachgeben oder Schwäche zu sehen. Also weiter Druck erhöhen – auf der Beameranzeige der Druckkurve zeigte sich nun ein unwahrscheinlich hoher Kurvenwert. Mit Abstand der Allzeit-Rekord! Und dann plötzlich, mit einem kurzen Knall, war die Brückenkonstruktion weg und nur noch Splitter da. Man hat nicht einmal gesehen, wie etwas bricht, es war einfach nur plötzlich keine Brücke mehr da, sondern nur noch Splitter. Die klare Siegerbrücke – wobei der leitende Professor doch noch die Bemerkung machte: „Bei einer echten Brücke würde man das selbst bei so hoher Belastbarkeit nicht wollen: Ein Brechen sollte sich irgendwie ankündigen, damit man sich in Sicherheit bringen kann.“ Warum ich das erzähle? Weil ich mir seitdem öfter sage: „Denk an die Brücke!“ Weil ich seitdem nicht mehr vergessen werde, dass Vielfalt Stabilität bedeutet. Die Brücke war nur aus einem Material, aus einem Guss. Ihre Erbauer wollten nicht verschiedene Ansätze einbeziehen. Das war zwar sehr kräftig, aber dann hat es die Brücke mit einem Knall zerrissen. Keine Chance, noch etwas zu retten. Und ich entdecke seitdem immer mehr Situationen und Fälle, wo Vielfalt die Stabilität erhöht. So sind zum Beispiel in Cordoba die maurischen Bögen nicht nur aus ästhetischen Gründen rot-weiß gebändert, sondern es sind unterschiedlich harte Steine, die bei den leichten Erdbeben der Gegend dann wie eine Wirbelsäule federn statt zu brechen. Und dasselbe gilt für Menschen und Gesellschaften: Man hätte nur zu gerne, dass alle doch sein mögen, wie man selbst – dann denke ich „Denk an die Brücke!“ Vielfalt ist keine Schwäche, sondern eine Stärke.Wenn alles gleich ist, mag es nach außen hin gut aussehen, aber die inneren Spannungen sind vielleicht schon gefährlich. Vielfalt sorgt für einen Ausgleich und zeigt Probleme früher an. Man kann dann noch etwas machen. Auch Reibung ist gut, weil sich dabei Spannungen abbauen können und Kräfte ausgeglichen werden können, die sich sonst bis zum Knall gegeneinander aufbauen, ohne dass man es merkt. Der Philosoph Aristoteles hat es einmal so gesagt: „Eine Stadt besteht aus unterschiedlichen Arten von Men- schen – ähnliche Menschen bringen keine Stadt zuwege.“ Wenn dich stört, dass jemand anders ist, dann sage ich „Denk an die Brücke! Vielleicht braucht es das ‚andere‘!“ StabileVielfalt 12. November 2013 Michael Schlierbach
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