Jahrbuch 2015-2016
228 Vortragsreihe „Plötzlich war alles anders!“ „ Man kann die Punkte nicht verbinden, wenn man sie vor sich hat. Die Verbindung ergibt sich erst im Nachhinein. Man muss also darauf vertrauen, dass sich die Punkte ir- gendwann einmal zusammenfügen. Man muss an etwas glauben. Intuition, Schicksal, Leben, Karma, was immer.“ Steve Jobs/Stanford Am 19.01.2016 besuchte uns die österreichische Künstle- rin Tina Hötzendorfer und begann ihren sehr bewegen- den Vortrag mit eben jenem Zitat. Dass Tina Hötzendor- fer eine sehr bemerkenswerte junge Frau ist, haben auch unsere Schüler zu spüren bekommen. Selten war es so still im Saal. Im Vorfeld hatten wir die Schüler informiert, sie mögen bitte offen und ehrlich und ohne „falsche“ Scham auf Tina zugehen. Nicht nur im anschließenden Gespräch im großen Plenum, sondern auch während ih- res Vortrages stellte sich Tina allerlei neugieriger Fragen wie zum Beispiel: Treibst du eigentlich Sport, Schwimmen z.B.? Tina: Ja, ich macheYoga und Hanteltraining. Schwimmen kann ich auch, allerdings nur auf dem Rücken. Ich will mei- nen Körper fithalten, denn ich bin davon überzeugt, dass die Forschung in den nächsten Jahrzehnten eine Möglich- keit findet, damit ich wieder gehen kann. Deshalb unter- stütze ich auch die Wings for Life Stiftung, deren Ziel es ist eine Heilung für Querschnittslähmung zu finden. Wie bist du mit dem Mitleid der Anderen umgegan- gen? Tina: Wenn man plötzlich im Rollstuhl sitzt, gehen die Menschen anders mit Dir um als vorher. Ich werde oft an- gestarrt oder an der Kasse wird nur noch mein Begleiter angesprochen, als ob ich gar nicht existiere. Man selber kann es eher akzeptieren. Schlimm ist es für die Eltern. Sie wollen ja ihrem Kind immer helfen und sind doch ab- solut hilflos. Wie hast du dich gefühlt, als du im KH aufwachtest? Wie hast du reagiert? Tina: Ich war nie ganz negativ oder habe das verurteilt. Ich habe versucht positiv zu bleiben, mir Ziele zu setzen. Nicht dem nachzutrauern was nicht mehr geht sondern mich auf das zu fokussieren was noch geht. Als ich nach 7 Monaten aus der Reha kam war ich überglücklich wieder zu Hause zu sein. Doch dann hat mich die Realität einge- holt und ich habe gemerkt, wieviel Hilfe ich tatsächlich be- nötige und wie viele Orte für mich nun unerreichbar sind. Ich habe diese tristen Gefühle zugelassen ja, aber mich nicht von ihnen vereinnahmen lassen. Ich habe immer ge- dacht, dass alles einen Sinn ergeben wird und versucht trotz aller Rückschläge, nie das positive aus den Augen zu verlieren und positiv in die Zukunft zu schauen. Durch den Buddhismus, mit dem ich auf meinen vorherigen Reisen in Kontakt kam, habe ich gelernt die kleinen Dinge im Le- ben zu schätzen. Letztendlich hat mir der Unfall die Zeit und die Chance gegeben, dass zu finden was ich gerne mache. Wie malst du? Und wie lange benötigst du für ein Bild? Tina: Ich male mit beiden Händen. Ca. einen Monat. Du kannst deine Hände nicht mehr bewegen.Wie bist du auf die Idee gekommen, zu malen? Warst du vor- her schon kreativ? Oder hast du diese künstlerische Seite an dir erst durch die Behinderung entdeckt? Tina: Ich habe vorher gern gestrickt aber das war es auch schon. Ich habe erst durch den Unfall meine künstlerische Seite an mir entdeckt. Irgendwann kam das Gefühl in mir auf malen zu wollen. Da habe ich für meine Oma zuWeih- nachten den ersten Glückselefanten gemalt. Irgendwann wurde dann der Zuspruch immer größer und 2011 kam die erste Ausstellung. Kannst du eigenständig auf dieToilette gehen? Tina: Ich hatte eine OP, um wieder selbstständig die To- ilette nutzen zu können, jedoch was es ein sehr mühsa- mer Weg, um bei diesem Punkt anzukommen. Hast du Phantomschmerzen? Tina: Ja. Meist hängt es vom Wetter ab. Im Winter ist es eher ein brennender, kribbelnder Schmerz. Man kann Medikamente nehmen, um dem entgegenzuwirken, aber die machen meist sehr müde. Wenn du träumst, kannst du da laufen oder bist du auch in deinenTräumen im Rollstuhl? Tina: Ich habe noch nie geträumt im Rollstuhl zu sein, es ist eher so als ob ich schwebe. Kann man mit seinem „alten Leben“ und dem Unfall abschließen? Oder durchlebt man denTag immer und immer wieder und überlegt:Wie hätte ich das verhin- dern können oder was wäre wenn? Tina: Wenn es im Winter sonnig ist und ich den Hub- schrauber höre, dann gerate ich schon ins Grübeln, oder wenn man von dem Skispringer Lukas Müller hört. Hast du einen Freund? Wie geht er mit deiner Behin- derung um? Tina: Ja. Wir haben uns im Rehazentrum kennengelernt, er war dort Zivi. Wie schaut es mit Sexualität aus? Tina: Generell haben es die Frauen da einfacher…..Also Kinder bekommen ist definitiv möglich. Tina Hötzendorfer – mutig, stark, positiv. Das war im gan- zen Saal zu spüren. Wir ziehen unseren Hut vor Dir und bedanken und noch einmal recht herzlich, dass Du uns in vielerlei Hinsicht erleuchtet hast. Bei Interesse können Sie hierTina Hötzendorfers komplet- ten Vortrag noch einmal auf unserer Webseite nachlesen. Julia Schmiedchen & Katja Olschewsky /
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