Jahrbuch 2015-2016
236 Vortragsreihe „1 Mann, 5 Kontinente und jede Menge Jobs“ Am 03.05. besuchte uns Innenarchitekt und Weltenbumm- ler Fabian Sixtus Körner, der sich 2010 mit einem Startka- pital von 255,69 EURO auf seinem Konto und 200 in bar auf Weltreise begab.Genauer gesagt, wollte er nach alter Hand- werkstradition eine Art moderneWalz begehen. Was verbirgt sich hinter dieser Tradition? Früher, und so auch heute, gin- gen zünftige Gesellen nach Abschluss ihrer Lehrzeit auf die Walz. Ziel war und ist es, als weltgewandter Mensch zurück- zukehren, der gelernt hat, die Vielfältigkeit der Erde und des Universums zu schätzen. Zudem war diese Wanderschaft, die Voraussetzung der Zulassung zur Meisterprüfung. Man läuft jedoch nicht einfach so los. Die Walz folgt noch heute ganz bestimmten Regeln, die es sich zu verinnerlichen gilt: der Wandergeselle arbeitet für freie Kost und Logis, er trägt all sein Hab und Gut bei sich, er darf sich seinem Heimatort nicht mehr als 50km nähern…die Liste ist recht lang. Soviel zurTheorie, aber wie kann ein Innenarchitekt sich diese Erfah- rung zu Eigen machen? Fangen wir von vorne an. Nachdem Fabian zunächst die Schule abgebrochen hatte, holte er später doch noch sein Abi nach und studierte Innenarchitektur. Wie viele junge Men- schen stellte er sich nach dem Studium die Frage: Was nun? Die Experimentierfreude und Freiheit des Studiums wich der harten, öden Realität des Arbeitsalltages. Er wollte wieder raus aus diesemTrott, wieder reisen, so wie er es als Student schon getan hat. Doch wer riskiert schon guten Gewissens die gefürchtete Lücke im Lebenslauf? Und nur Urlaub ma- chen? Nach 2 Wochen Strand kommt auch Langeweile auf. Also wie bringt man „Work und Travel“ geschickt unter einen Hut? Und da kam die Walz ins Spiel und wurde zum eigentli- chen Motto seiner Reise. Aber welche Regeln dieser traditi- onsreichen Wanderung sollte er adaptieren? Welche für sei- ne Ansprüche modifizieren? Arbeiten ausschließlich für freie Kost und Logis, auf allen besiedelten Kontinenten und nicht mehr als 2 Jahre – um die 3 wichtigsten seiner ganz persön- lichen 10 Regeln zu nennen. Er kündigt seine Wohnung, verkauft sein Auto, wohnt für 3 Monate auf 9m2, um Geld zu sparen und startete, wie be- reits erwähnt 2010 in die Ungewissheit. Die erste Station: Shanghai. Ein Professor vermittelte ihm einen Job als Prakti- kant, „leider“ für Geld. Also gleich die erste Regel gebrochen. Nach 3 Monaten ging es weiter nach Kuala Lumpur, wo seine Hauptaufgabe Hände schütteln war. Es galt, Sponsoren für die Design Week zu akquirieren und gleichzeitig als Internati- onal Embassador zu glänzen. Wohnen konnte er bei seinem Chef. Einen Monat später: Indien. Bangalore, um genau zu sein. Von Dehli 36 Stunden non-stop mit dem Zug nach Bangalore, da wird einem der Luxus des Sitzens wieder bewusst, wenn die einzigen Optionen Stehen oder Liegen sind. Um die Rei- sekasse aufzubessern, nahm Fabian zwischendurch immer wieder Jobs aus Deutschland an, denn mit 255,69 kommt man bekanntlich nicht so weit. In Bangalore entwarf er einen vertikalen Garten, der das Mauerwerk einer Häuserfassade ersetzte. Die besondere Herausforderung an diesem, wie auch an den vorherigen Projekten bestand für Fabian darin, dem effizienten Deutschen in sich den Rücken zu kehren und sich auf die, mitunter abenteuerlichen, Arbeitsweisen seiner Hosts einzulassen. Die nächste Station: Alexandria – totales Kontrastprogramm zu Indien – Yachthafen, Head of Grafik Design und Ramadan. Nach 3 Monaten ging es auch hier weiter: nach Addis Abeba. Dort war er Mitorganisator eines Fotofestivals und produ- zierte dafür eigens einen Ankündigungstrailer, der daraufhin auf dem einzigen öffentlichen Bildschirm des Landes gezeigt wurde. Cooles Gefühl! Danach Europa. Kopenhagen. Das Aus mit der Freundin. De- pression. Flucht in die Arme der Familie und die Erkenntnis, dass das ständige neu anfangen doch mehr an einem zehrt, als man zunächst denkt. Man schließt enge Freundschaften mit Menschen, die man nach 4 Wochen wieder verlässt und das in Dauerschleife. Dann doch wieder nach Bangalore, einen Urban-Fotogra- fie-Workshop leiten, den vertikalen Garten betrachten und nebenbei ein Protestvideo gegen das in Indien verhängte Tanzverbot drehen. Und dann…wieder geht es nach Kuala Lumpur, erneut Design Week. Jedoch macht Fabian wäh- renddessen einen Zwischenstop in Brisbane, Australien, um mit den Jungs „Junky, Tom, Crank und Duncan“ an ihrem Plattenlabel „Bedlam Records“ zu arbeiten. Fabian , damals Ende 20, merkte, dass er zu alt für den Sch*** war und mit Anfang 20ern nicht mehr mithalten konnte. Wieder zurück nach Kuala Lumpur, um als Juror bei einem Modelkontest dabei zu sein. Nachdem auch diese Arbeit erledigt war, ging es weiter nach San Francisco, wo er für einen Fotografen arbeitete und auf dessen Couch wohnte. Dort entdeckte Fabian „The Trumpet Kid of San Francisco“. Er nahm den Jungen mit seiner Kamera auf und stellte den Clip auf Youtube online. Es dauerte nicht lange, das Video ging viral und der Junge schaffte es in die berühmte Ellen Degeneres Show. Ende 2011 startete Fabian nach Havanna und drehte einen Kurzfilm, in dem sehr offen Kritik am politischen System Ku- bas geübt wurde. Der Film wurde nicht veröffentlicht, aus Angst, die Interviewten könnten für ihre Äußerungen verfolgt und bestraft werden. Die nächste Station war Santo Domin- go in der Dominikanischen Republik, wo er Hahnenkämpfe dokumentierte. Weiter dann nach Kolumbien, um Fotos für ein Bekleidungslabel zu schießen und Ausstellungen zu orga- nisieren. Uff!!!!! Always in a hurry! 2012 kam Fabian , nach 2,5 Jahren und um viele Erlebnisse reicher, in Berlin an. Er er- zählte unseren Schülern von seiner Postreisedepression und wie er diese mit seinem Buch „The Journeyman“ therapierte. Was hatte er auf seiner Walz gelernt? Besitz ergreift Besitz von Dir: Mehr als einen Rucksack braucht man nicht. Freud und Leid sind Geschwister: Das Wichtigste sind nicht die Orte an denen wir uns aufhalten, sondern die Menschen, die uns begleiten. Und zu guter Letzt: Grenzen überschreiten, sowohl in Bezug auf Normen und Regeln, als auch in physi- scher und psychischer Hinsicht. Alles, was man macht, muss von innen heraus kommen, dann wird es auch gelingen. Julia Schmiedchen & Katja Olschewsky /
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy OTQ4NjU5