Jahrbuch 2015-2016
82 Schule Schön, dass Ihr da seid! Und auch ein bisschen schaurig, denn da liegt Abschied in der Luft. Ich möchte euch etwas mitgeben - und das hat damit zu tun, dass ich hier auf diesem Stein stehe - etwas tief aus der Erde dieser Gegend, in der ihr jetzt einige Jahre gelebt habt: Einen Gedanken, oder besser eine Geschichte und ein Symbol. Ich gebe Euch hier kleine Steinstücke in die Hand, ihr könnt euch später dann auch eines aussuchen und mitnehmen. Das, worauf ich stehe und was ihr in der Hand habt, ist Nagelfluh, ich habe diese Steine vorgestern im Steinbruch in Brannenburg ge- holt. Viele alte Gebäude sind darauf gebaut. Auch das Schloss hier. Auf den ersten Blick meint man es nicht, aber dieser Stein ist ein total widerstandsfähiger Stein, er ist zäh und besonders frostsicher, und er ist ein schöner Stein, auch wenn er oft unscheinbar wirkt. Ihr seht das an der glatten Fläche besonders, wenn ihr ihn nass macht. Aber das Wichtigste: Dieser Stein hat eine Geschichte. Jedes Stück seine eigene! Ihr habt in Eurer Abiturzeit vielleicht 30000 Seiten am Computer gelesen, ich möchte euch jetzt zeigen, wie Ihr einen Stein lesen könnt. Drei Lesarten will ich Euch zeigen. Erste Lesart: Dieser Stein ist nicht aus einem Stück. Son- dern aus vielen einzelnen Steinen, jeder mit sei- ner Geschichte, von verschiedenen Gegenden. Gepurzelt, gerollt, manchmal gespalten, rund- geschliffen, weiche, harte, glatte und raue Steine. Unter Geschiebe, Gezerre, Druck, Last und Energie, die darauf einwirkt, sind Halte- strukturen entstanden, die den Stein zusam- menhalten. Seine Stärke ist seine Vielfalt, Druck und Energie verteilen sich im Stein und er hält deshalb besonders viel aus. Zweite Lesart: Ihr habt nun 12 Jahre (oder mehr) Wissens- stücke in Euch aufgenommen. So wie die Kie- sel im Nagelfluh. Und ihr habt Euch sicher oft gefragt:Wozu brauch ich das? Und auf manches hättet ihr gerne verzichtet. Und Geschiebe, Ge- zerre und Druck kennt ihr beim Lernstoff auch. Geht es mal gedanklich so an, wie bei einem solchen Stein: Manches erscheint einem über- flüssig, aber es stärkt anderes, bildet eine Ba- sis für den eigentlichen Inhalt, der darauf ruht. Manches löst sich auch im Laufe der Zeit auf, verfestigt aber wie beim Nagelfluh dabei sein, Umfeld und macht es widerstandsfähiger. Dritte Lesart: Lest den Stein einmal wie eine Darstellung des Lebens. Wir schauen im Leben so oft auf die Kristalle - aber das Leben ist eher wie so ein Nagelfluh. Kristalle halten nichts aus - wenn ich mit einer kleinen Spitzhacke nur ein bisschen auf einen Kristall schlage, zerspringt er schnell in viele Stücke. Wenn ich dagegen selbst mit ei- ner großen mit vollerWucht auf einen Nagelfluh Die Andacht
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