Jahrbuch 2018-2019
100 Schule Napola Zeitzeuge Schloss Neubeuern 5. April 2019 Wie erinnert man an eine Zeit, zu der der persönliche Bezug mit jedem Jahr etwas weiter in die Ferne rückt? Wie begreift man, dass die Geschichte Gültigkeit für das eigene Leben be- sitzt? Wie vermittelt man, dass sich historische Ereignisse zwar nicht exakt wiederholen, aber dennoch der Betrachtung wert sind, um Lektio- nen für die Gegenwart zu ziehen? Diese Fragen stellen sich die Mitglieder der Fachschaft Geschichte und Sozialkunde nahezu täglich. Insbesondere das Thema Nationalsozi- alismus beschäftigt uns dabei intensiv. Dieses Jahr hatten wir die seltene Gelegenheit, einen Zeitzeugen auf Schloss Neubeuern auf Vermitt- lung von Herrn Käsinger willkommen zu hei- ßen. Herr Käsinger gab eine Einführung zum Thema, indem er über die Entwicklung der Schule vor der Schließung 1942 berichtete. Ma- terial aus dem Schlossarchiv illustrierte die The- matik in einer kleinen Ausstellung. Herr Josef Taubeneder, der schon zum vierten Mal im Schloss als Zeitzeuge berichte- te, war Schüler der NPEA Neubeuern während des Dritten Reichs. Die Nationalpolitischen Er- ziehungsanstalten waren Elite-Internate, die sich an britischen Internaten und preußischen Kadettenanstalten orientierten. Hier sollte die künftige Führungsschicht des nationalsozia- listischen Deutschlands ausgebildet werden. Am 05. April erzählte er den Schülern unserer 9. und 11. Klassen, dass die Jugendlichen zu dieser Zeit von ganz banalen Sorgen, wie der um ein gutes Mittagessen oder Streitigkeiten mit anderen Jungen aus dem Dorf, getrieben wurden. Ungläubig hörten wir im Jahr 2019, wie wenig über Politik gesprochen wurde. Auf mehrfache Nachfrage hin bekräftige Herr Tau- beneder mehrmals, dass es keine Diskussio- nen gegeben hatte, weil es nichts zu diskutie- ren gab. In unserer heutigen Gesellschaft ist es üblich und auch gewünscht, dass ein Wettstreit der Meinungen stattfindet. Unterschiedliche Standpunkte existieren, dürfen gehört und verteidigt werden. Herr Taubeneder machte deutlich, dass die Alternativlosigkeit das we- sentliche Kennzeichen der Diktatur im Alltag war. Dadurch folgte man Ideen, von denen man erst Jahre später begriff, dass sie falsch waren. So gab es für die meisten Schüler auf Schloss Neubeuern der 1940er Jahre gar nicht die Mög- lichkeit zu erkennen, dass Antisemitismus un- menschlich oder die Annahme, einer höheren Rasse anzugehören, destruktiv ist. Sie mussten den Ideen gar nicht folgen, weil man sie dazu zwang, sondern weil es keine Möglichkeit gab, die Welt anders zu sehen. So wurde uns durch Herrn Taubeneder klar, wie subtil die Manipu- lation der Nationalsozialisten ablief und nicht nur Jugendliche in Internaten, sondern in ganz Deutschland indoktriniert wurden. Schloss Neubeuern ist heute ein Ort, an dem Menschen aus der gesamtenWelt zusam- menkommen. Schloss Neubeuern ist heute ein Ort, an dem Grenzen überwunden werden.
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