Jahrbuch 2018-2019
393 Abendsprachen Rimsting – Der Mann hat den Blues – und wie! Die Gitarrentöne seiner Chapin T-Bird vom Typ Telecaster dringen direkt über die Oh- ren und alle Poren ins Klein- hirn, stellen Haare auf, ver- setzen den Körper in wiegen- de Bewegungen und sorgen für köstliches Körperer- schauern – einfach zum Da- hinschmelzen. Und das gleich beim Konzerteinstieg. Was soll das in den nächs- ten zweieinhalb Stunden mit einer unglaublichen emotionalen Wucht aus sei- nem Inneren nach außen kehrt, lässt zunächst mutma- ßen, dass er irgendetwas aus seinem Leben aufzuarbeiten hat. Vielleicht ist es aber auch schlichtweg eine Hom- mage an Gary Moore? Denn unweigerlich erinnern diese ersten Töne an den Stil des nordirischen Bluesbarden, der uns einst solch schöne Seelenschmeichler wie „Still Got The Blues“ bescherte und leider – der Musikgott hab‘ ihn selig – Anfang Feb- Will Come Again“ des ameri- kanischen Bluesrockers (1936 bis 1988) angenom- men und sie musikalisch be- arbeitet, jeder auf seine Wei- se. Bleiben wir bei Josh Smith: Der sympathische 38-Jährige aus Los Angeles zelebriert seine Version im kongenialen Zusammenspiel mit dem Bassisten Steven Jenkins und Schlagzeuger Vincent Fossett in einer Mischung aus ur- wüchsigem Blues, leiden- schaftlichem Soul und Anlei- hen aus dem Jazz. gehandelt wird. Raffinierte Arrangements, weit weg vom gängigen Zwölf-Takte- Blues-Klischee, unerwartete Akzente und Spannungsbö- gen in seinen Solis, die regel- recht nach Auflösung bet- teln, sind die Markenzeichen seiner Kompositionen und Songs – und damit kann er verdammt gut umgehen, wie auch mit seiner Stimme! Danke für dieses Erlebnis und – Chapeau, Mr. Smith. Hut ab auch vor Blues- Club-Macher Horst Schmid- mayer und seinem Team. BLUES-CLUB CHIEMGAU ........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... Chapeau, Mr. Bluesman Josh Smith kehrt beim Konzert in Rimsting sein Seelenleben mit emotionaler Wucht von innen nach außen VON ULRICH NATHEN-BERGER Neubeuern – Die „Neu- beurer Woche“ (2011 bis 2014) widmete sich den his- torischen Künstlertreffen von 1911 bis 1914 auf Schloss Neubeuern. Die „Neubeurer Kulturtage“ 2018 nehmen den Faden neu auf und prä- sentieren ein Programm, das sich zum einen auf das Auto- rentreffen in Altenbeuern im Jahr 1947 bezieht, aus dem die Gruppe 47 hervorgehen sollte (siehe oben). Darüber hinaus stehen die Kulturtage unter dem Motto „Erinne- rungen an die Nachkriegs- jahre“ und beleuchten die Zeit der Besatzung sowie der jungen Bundesrepublik aus unterschiedlichen Perspekti- ven. Veranstalter ist die Schule Schloss Neubeuern. Einheimische Künstler und Gäste wie Kathi Leitner, Günther Maria Halmer, Axel Hacke und Michael Schwarzmaier, sprechen über ihre Erinnerungen und lesen aus ausgewählten Werken. Zwei kulturhistorische Aus- stellungen über die Autoren- treffen in Altenbeuern und die Lebensgeschichte der Fo- tografin und Dichterin Ilse Schneider-Lengyel, Vorträge, Musik, Filme und Schloss- führungen runden das Pro- gramm ab. Veranstaltungsor- te sind der Dorfwirt Vornber- ger in Altenbeuern und das Schloss Neubeuern. Zu den Höhepunkten der „Neubeurer Kulturtage“ zäh- len die Eröffnung der Aus- stellung am Samstag, 29. September, um 14 Uhr beim Dorfwirt Vornberger mit Vor- trägen und Musik. Um 19 Uhr gibt es einen literari- schen Abend mit Kathi Leit- ner und Michael Schwarz- maier, die aus „Die gute schlechte Zeit – Erinnerun- gen an Damals“ von Oliver Hassencamp lesen und mit Dr. Joachim Seng, der aus „Hofmannsthal. Orte“ liest und über die Beziehung Hof- mannsthals zu Neubeuern spricht. Am Mittwoch, 3. Oktober um 19 Uhr präsen- tieren Kathi Leitner und Jo- sef Trost beim Dorfwirt Vorn- berger Texte aus den histori- schen Gästebüchern von Schloss Neubeuern. Am Donnerstag, 4. Okto- ber, findet im Festsaal auf Schloss Neubeuern ein Abend mit Lesung, Gespräch und Erzählung mit Günther Maria Halmer und Axel Ha- cke statt. Karten dafür gibt es bei Inn-Schrift am Markt- platz 2 in Neubeuern. Mit Ausnahme des Abends mit Halmer und Hacke ist der Eintritt frei. Um Anmel- dung wird gebeten bei Rein- hard Käsinger, Telefon 0162/ 8581251, E-Mail: rein- hard.kaesinger@schloss-neu- beuern.de . NEUBEURER KULTURTAGE ...................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... Erinnerungen an die Nachkriegsjahre Vom 29. September bis 5. Oktober im Gasthof Vornberger in Altenbeuern und im Schloss Neubeuern Neubeuern – Eigentlich war die Gruppe 47 ja gar keine Gruppe: Sie hatte weder eine feste Organisationsform noch eine Mitgliederliste und auch kein literarisches Programm. Geprägt wurde sie stark von der Einladungspraxis ihres Mentors Hans Werner Rich- ter. Wen er zu den Treffen einlud, entschied er persön- lich: „(…) jetzt gebe ich ein- mal im Jahr ein Fest, (…), das nennt man die Gruppe 47 (…). Und ich lade alle Leute ein, die mir passen, die mit mir befreundet sind.“ Zu- nächst tagten die Autoren, Kritiker, Journalisten und Verleger auf Einladung Hans Werner Richters per Postkar- te zweimal, später nur noch einmal jährlich. Ab 1950 vergab die Grup- pe einen eigenen Preis, um junge Autoren zu fördern. Die erste Auszeichnung er- hielt Günter Eich. Mit dem Preis begannen auch die schriftstellerischen Karrieren von Heinrich Böll und Gün- ter Grass, zwei späteren Lite- ratur-Nobelpreisträgern. Das letzte Treffen der Gruppe fand 1967 statt. In der Forschungsliteraur geläufigt, aber in der Öffent- lichkeit weitgehend unbe- kannt ist die Rolle, die Alten- beuern für die Geschichte der Gruppe 47 spielte – und das gleich zweimal. Vom 25. bis 27. Juli 1947, noch vor der „offiziellen Gründung“ der Gruppe, hat- te die junge Verlegerin Inge- borg Stahlberg Autorinnen und Autoren ihrer Buchreihe „Ruf der Jugend“ zu einer Redaktionskonferenz nach Neubeuern gebeten. Die Teil- nehmer waren Gäste von Ot- tonie Gräfin von Degenfeld- Schonburg, die ihr Schloss Neubeuern und das dazuge- hörige Gut Hinterhör für die Konferenz zur Verfügung stellte. Vermittelt hatten die Tagung der Dichter Rudolf Alexander Schröder, Dank- wart Graf von Arnim, ein frü- herer Schüler von Schloss Neubeuern und angehender Mediziner sowie der Lektor des Stahlberg-Verlags Chris- tian von Tauchnitz. Anwesend waren auch ei- nige Mitarbeiter der Zeit- schrift „Der Ruf“, die nach der Entlassung von Alfred Andersch und Hans Werner Richter durch die US-Militär- regierung im April 1947 kein Forum mehr hatten. Unter ihnen entstand bei dieser Zu- sammenkunft die Idee zur Gründung einer eigenen Gruppe. Für ein Folgetreffen bot Ilse Schneider-Lengyel – auch sie schrieb für den „Ruf“ – ihr Haus am Schwangauer Bannwaldsee an. Man traf sich dort wenige Wochen später, am 6. und 7. September 1947. Diese Zu- sammenkunft gilt als die ei- gentliche Geburtsstunde der Gruppe 47. Vor 70 Jahren schließlich – vom 17. bis 19. September 1948 – kam die Gruppe 47 erneut in Altenbeuern zu- sammen. Auch Ilse Schnei- der-Lengyel war dabei. Im Vergleich zu allen anderen Treffen ist allerdings gerade diese vierte Tagung bis heute wenig erforscht. Die überlie- ferten Dokumente belegen, dass es zu heftigen Kontro- versen zwischen den Teilneh- mern gekommen sein muss. „Es begann unter Apfelbäumen“ Im Rahmen der „Neubeurer Kulturtage 2018“, die am 29. September beginnen (siehe unten), werden zwei Ausstel- lungen gezeigt, die sich mit diesem Thema beschäftigen: Die von Reinhard Käsinger, Intendant der „Neubeurer Kulturtage“ 2018, kuratierte Präsentation „Es begann un- ter Apfelbäumen … Die Idee der Gruppe 47 entstand in Altenbeuern“ über die Hin- terhörer Treffen 1947 und 1948 mit Originaldokumen- ten und die Wanderausstel- lung „Ich bin als Rebell gebo- ren. – Ilse Schneider-Lengyel – Fotografin, Kunsthistorike- rin, Ethnologin, Dichterin ... und die Gruppe 47“. Die Schau wurde 2017 zum 70. Gründungsjubiläum der Gruppe 47 im Auftrag der Gemeinde Schwangau von dem Frankfurter Kulturbüro Drummer und Arns Histori- ker realisiert. Das umfassen- de Begleitprogramm mit Vor- trägen, Lesungen, Film, Füh- rungen und Musik erinnert an den kulturpolitischen Aufbruch nach dem Zweiten Weltkrieg. re/ku DIE GRUPPE 47 ....................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... Die Keimzelle lag in Neubeuern Die Gruppe 47 gilt als die bedeutendste Auto- renvereinigung der deutschen Nachkriegs- zeit. Nur wenig bekannt ist die Rolle, die Alten- beuern und das Schloss Nebeuern in der Ge- schichte der Gruppe 47 spielte. Zwei Ausstellun- gen im Rahmen der Neubeurer Kulturtage beleuchten die Ge- schehnisse von damals. Die beiden Gastgeber: Schlossherrin Ottonie Gräfin von Degenfeld-Schonburg und der Dichter Rudolf Alexander Schröder. Getagt wurde auf Gut Hinterhör. Das Foto zeigt die Teilnehmer des Treffens von 1947 vor dem Gebäude. FOTOS RE
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