Jahrbuch 2018-2019
394 Abendsprachen Ottonie Gräfin von Degenfeld-Schonburg Schloss Neubeuern und Gut Hinterhör bleiben bis Mitte des 20. Jahrhunderts Treffpunkt für die Literaten, Künstler und Denker ... OttonieGräfinDegengeld‐SchonburgwardieSchwägerinvonJan undJulievonWendelstadt,denBesitzernvonSchlossNeubeuern. Nach dem frühen Tod ihres Mannes Christoph Graf Degenfeld‐ Schonburgkamdie jungeMuttermiteinemschwerenNervenlei‐ dennachNeubeuern,wokurznach ihrerAnkunftderSchlossherr Jan von Wendelstadt verstarb. Noch vor seinem Tod adoptierte derschwerkrankeBarondieTochtervonOttonie,diekleineMarie Therese,undschenkteseinerSchwägerindasLandgutHinterhör. „ Aus diesem Umstand ergab sich natü�rlich als Selbst- verstä�ndlichkeit, dass meine Schwä�gerin und ich von nun an unser Leben gemeinsam verbrachten. ” Die beiden früh verwitweten Frauen,derenSchicksal auf so enge Weiseverbundenwar,erzogenvon1909angemeinsamOttonies Tochter Marie Therese und erledigten auch die Belange des Schlossesgemeinsam.OttoniewarzudiesemZeitpunkt27Jahre alt und kämpfte sich aus ihrer Trauer und Depression zurück ins Leben.Dabeikam ihrUnterstützungausganzunerwarteterRich‐ tung entgegen. „ In meiner sehr schweren Krankheit stellten sich zwei Freunde mir tief verbunden zur Seite: mein Schwager Eberhard Bodenhausen und dessen Freund, der Dichter Hugo von Hofmannsthal. ” Zeugnis einer tiefen Freundschaft zwischen Ottonie und Hugo von Hofmannsthal ist ein intensiver Briefwechsel in denJahren 1909 bis 1929. Darüber hinaus entwickelten sich Schloss Neubeuern undGut Hinterhör zu besonderen Orten kultureller Begegnung und geistvoller Geselligkeit. Als glanzvolle Höhepunkte galt ab 1910/11 die „Neubeurer Woche”,zudersich jeweilszumJahreswechsel illustreKreiseaus den Bereichen Literatur, Malerei, Architektur und Musik trafen, darunter: Annette Kolb, Grete Wiesen- thal, Rudolf Kassner, Eberhard von Bodenhausen, Rudolf Borchardt, Rudolf Alexander Schröder, Henry van de Velde. MitBeginndesErstenWeltkriegswurdendiebeliebtenTreffen je‐ docheingestellt. InderZeitdesNationalsozialismusveranstaltete dieGräfinweiterLesungenvonAutorender„innerenEmigration”. InSchloss Neubeuern richteteJulie Freifrau vonWendelstadt be‐ reits1925ein Internatein;eswurde1942vondenNational‐sozia‐ listen beschlagnahmt und bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ideologisch als „Napola”‐Eliteschule (Nationalpolitische Erzie‐ hungsanstalt) geführt. Im April 1948 konnte die Schule wieder‐ eröffnet werden. Heute ist sie staatlich anerkanntes Internats‐ gymnasium. Ottonie Gräfin von Degenfeld‐Schonburg lebte bis zu ihremTod 1970aufGutHinterhör. InErinnerungandenSalon inderProvinz veranstaltetedasSchlossvon2011bis2014nocheinmaldie„Neu‐ beurerWoche”. OttonieGräfin von Degenfeld‐Schonburg, ihr Enkelsohn Ralph Miller und ihreTochter Marie‐Therese Miller‐Degenfeld aufGut Hinterhör Carl Jakob Burckhardt, der bekannte Schweizer Diplomat und Essayist, hat die besondereAtmosphäre von Schloss Neubeuern vielleicht am treffendsten formuliert: „(...) und da war ein Ort in einer der lieblichsten Gegenden Oberbayerns, und in diesen Häu‐ sern wirkten Frauen, die in wunderbarerWeise diese Freunde ver‐ einigten. Während eines halben Jahrhunderts haben sie eine in dieser Art, in jedem Augenblick offen stehende Gastfreundschaft geboten. Für alle schufen sie eine zweite Heimat, eineZuflucht für ungestörtesArbeiten, einen immer zurVerfügung stehendenTreff‐ punkthoher,geistigerGeselligkeit;dortfandmanAnteil,Verständ‐ nisüberalleGrenzen,Aufmunterung imGebenwie imNehmen,und es herrschte ein glückliches, ausgewogenes Vertrauen, zu dem jeder seinenTeil beitrug. Dieser Mittelpunkt hieß Neubeuern …” Ein Leben für geistvolle Geselligkeit v. li.: Dora Baronin von Bodenhausen,Julie Freifrau vonWendelstadt, OttonieGräfin von Degenfeld‐Schonburg Hugo von Hofmannsthal (1874 – 1929), Schriftsteller und Dramatiker, war häufigerGast aufSchloss Neubeuern
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