Jahrbuch 2018-2019
468 Feste Schön, dass Sie da sind! Und schön, dass ihr da seid! Haben Sie, habt ihr, eigentlich einander heu- te schon mal in die Augen geschaut? Dann tun Sie das bitte jetzt mit ihrem Nach- barn links und rechts in der Bank! Sommerfest! Wie herrlich, endlich rückt das Ende eines anstrengenden Jahres näher! Und es ist gut, am Schluss noch einmal die Gemeinschaft zu feiern mit denen, denen man in die Augen schauen kann. Wir gedenken heute aber auch derer, denen wir leider nicht mehr in die Augen schauen kön- nen, weil sie im vergangenen Jahr gestorben sind. Und auch das gehört zur Gemeinschaft! Die evangelische Kirche gedenkt in diesem Jahr auch eines Verstorbenen, eines bedeu- tenden Theologen: Karl Barth . Sein theologisches Hauptwerk füllt fast zwei Regalmeter. Aber keine Angst, ich kann das auf zwei Kernsätze zusammenfassen. Einer ist: Gott ist so ganz anders als unsere Vorstellung von Perfektion! Und der zweite ist etwas länger aber auch noch überschaubar, ich zitiere daraus, weil er so wichtig und lebendig ist: „Wer den Menschen für sich und also ohne den Mitmenschen sieht, der sieht ihn gar nicht. Wer den Menschen im Gegensatz oder auch nur in Neutralität zu seinen Mitmenschen sieht, der sieht ihn gar nicht. Auch wer des Menschen Menschlichkeit erst nachträglich, nur sekundär, nur in beiläufiger Ergänzung dadurch bestimmt sieht, dass er nicht allein, sondern mit seinen Mitmenschen existiert, sieht ihn gar nicht. Die Humanität jedes Menschen besteht in der Bestimmtheit seines Seins als Zusammen- sein mit dem anderen Menschen. Sein in der Begegnung mit dem Sein des Du, mit dem anderen Menschen. Ich bin, indem du bist.“ Wissen Sie, warum ich mir das besonders gemerkt habe? Weil Karl Barth es mit einer kleinen Erzäh- lung illustriert hat: Wenn man im Zug einem Menschen gegenüber sitzt, der mit einem Kon- takt aufnehmen möchte, dann ist man eigent- lich nur Mensch, wenn man das auch tut! Jeder Mensch hat das Recht gesehen zu werden, je- der Mensch hat den Wunsch, wahrgenommen zu werden. Es liegt in seinemWesen. Wenn ich das leugne oder ignoriere, nehme ich mir selbst das Menschsein. Auch ich mag nicht immer mit allen Kontakt aufnehmen, aber es stimmt: Es macht uns un- menschlich, es nicht zu tun! Heute schauen ja fast alle nur auf ihre Smart- phones – sogar beim Gehen auf der Straße!
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