102 SCHULE Schule nach dem 2. Weltkrieg und danach lange Jahre dem Kuratorium angehörte.) In den Schüler- listen der damaligen Zeit erscheinen die Adeligen alle mit gleichsam „verbürgerlichten“ Namen: z.B. ChristianTauchnitz, Hans Christoph Stauffenberg, Hans Wolff. Diese Regelung war wohl eine Mischung aus „understatement“ und dem Wunsch, den täglichen Umgang unkompliziert zu gestalten. Im Februar 1930 wechselte die Schule ihren Namen. Sie heißt nun bis zur Schließung „Landschulheim Neubeuern“. Langsam wird auch eine „innere Struktur“ des Internats aufgebaut. Zunächst gingen die Schüler vor allem in die „Schule“ und lebten im Schloß. Intelligente Menschen können sich ihre Freizeit in der Regel ganz gut ohne fremde Anleitung gestalten. Bei Jugendlichen, denen gegenüber man einen Erziehungsauftrag hat, liegen die Dinge etwas anders und eine Strukturierung der Freizeit durch Erwachsene erscheint sinnvoll. Die Schüler befanden sich zunächst in den natürlichen „Klassengemeinschaften“. Im September 1930 kam die Idee auf, sie darüber hinaus „Wahlgemeinschaften“ bilden zu lassen. Diese Gruppen wurden als „Kameradschaften“ bezeichnet und von einem Lehrer betreut, der zugleich ihr Erzieher wurde. 1930 entstanden 9 Kameradschaften, die sich - als Gruppenunternehmungen - verschiedene interessante Aufgaben stellten. Der Chef selbst war einer der „Kameradschaftsführer“, und so baute die „Kameradschaft Rieder“ z.B. eine nette kleine Blockhütte. Auch sah man die Notwendigkeit einer führenden Hand für das gesamte Internat. Die Person eines „Heimleiters“ sollte die gleichmäßige Behandlung aller Schüler garantieren. Erster Heimleiter war ein Leutnant a.D., Herr Dr. Voß (1931/32). Der Sport spielte seit Anbeginn eine große Rolle. Schon im ersten Jahr wurden Plätze für Hockey und Fußball angelegt. Im dritten Jahr kamen drei Tennisplätze hinzu. Und nachdem 1930 ein altes als provisorische Sporthalle dienendes Gebäude abgebrannt war, bekam die Schule noch im selben Jahr eine schmucke „Turnhalle“, die auch eine Bühne besaß, um gleichzeitig als Theaterraum benutzt werden zu können. Obwohl der Sport sehr wichtig ist, wollte man bei „öffentlichen Veranstaltungen“ der Schule den Eltern gern mehr von den erworbenen Fähigkeiten ihrer Kinder vorführen, so daß 193o das „Sportfest“ zu einem „Sommerfest“ umorganisiert wurde, bei dem auch Konzerte undTheateraufführungen auf dem Programm standen. Die glücklichen Jahre der neuen Schule waren 1933 zwar noch nicht zu Ende, und noch in der Festschrift zum 10-jährigen Jubiläum der Schulgründung (1935) bekennt sich Direktor Rieder zum Motto seiner pädagogischen Tätigkeit: „Alles mit Freude!“. Doch die Ideologie des Nationalsozialismus breitete sich langsam auch in Neubeuern aus und brachte der Schule zunehmend Schwierigkeiten. „Eine Insel der Maßstäbe für falsch und richtig“ Das Landschulheim Neubeuern im 3. Reich bis zur Schließung: 1933-1941 „Es soll ein scharfer Unterschied zwischen allgemeiner Bildung und besonderem Fachwissen bestehen. Da letzteres gerade heute immer mehr in den Dienst des reinen Mammons zu sinken droht, muß die allgemeine Bildung wenigstens in ihrer mehr idealen Einstellung als Gegengewicht erhalten bleiben. Auch hier muß man unentwegt den Grundsatz einprägen, daß Industrie undTechnik, Handel und Gewerbe immer nur zu blühen vermögen, solange eine idealistisch veranlagte Volksgemeinschaft die notwendigen Voraussetzungen bietet. Diese aber liegen nicht im materiellen Egoismus, sondern in der verzichtfreudigen Opferbereitschaft.“ So endet das Zitat aus Adolf Hitlers „Mein Kampf‘, welches als Motto der „Schulzeitung 1933“ vorangestellt wurde. Viele intelligente, erwachsene Menschen glaubten damals reinen Herzens, daß die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland eine gute Sache sei - gerade für die Jugend, gerade für die Erziehung. Direktor Rieder schreibt in der Festschrift zum 10-jährigen Bestehen des Landschulheims: „Zu den Erziehungsgrundsätzen , wie sie das neue Reich aufstellt, bekennen wir uns mit Freuden. Die Ausbildung des ganzen Menschen, nicht bloß seiner geistigen Funktionen, ist ja stets unser Ziel gewesen.“ Nur ein „Lippenbekenntnis“ oder eine „taktische Äußerung“? Das ist schwer zu sagen. Direktor Rieder ist jedenfalls bestimmt kein „Nazi“ gewesen. Auch Dr. Alwin Müller - wohl auch kein Nationalsozialist, sonst hätte er 1948 in der Amerikanischen Besatzungszone nicht zum ersten Schulleiter des neu entstandenen „Landerziehungsheim Neubeuern“ werden können - begrüßt den neuen Staat mit flammenden Worten: „Die nationale Revolution, die dem Staat den Anspruch auf Totalität zurückgibt, gestattet den inselhaft irgendwo auf dem Land verborgenen Schulheimen nicht mehr ein privates Dasein.“ Sie haben jetzt ihre wahre Aufgabe gefunden: „Ausbildung einer Führerschicht, einer Elite, eines neuen Adelstypus. Nur die Erziehungsordnung des Internats, die fast den ganzen Jahreslauf des Schülers erfaßt, besitzt die Möglichkeit einer totalen Bildung, nur sie kann die Tugenden fördern, deren der neue Staat bedarf: Disziplin, Einfachheit, sittliche Verantwortung.“ Immerhin: „Sittliche Verantwortung“. - Einem der Schüler, nämlich Axel von dem Bussche, der in diesem Geiste in Neubeuern erzogen worden war, blieb der Begriff der „sittlichen Verantwortung“ der wichtigste. Er hat versucht, im Jahre 1943 Adolf Hitler zu töten. Zunächst soll am Beispiel eines anderen Schülers dargestellt werden, was die nationalsozialistische Erziehung bei einem Jugendlichen bewirken konnte. „Schloß-HJ“ und „Jungvolk“ Reginald von LeSuire, geboren in München 1919, kam 1929 nach Neubeuern. Er war ein begeisterter „Pimpf‘ - wie die Mitglieder im „Jungvolk“ hießen - bzw. „Hitlerjunge“. Er baute „Jungvolk“ und „Hitlerjugend“ in Neubeuern auf, noch als beide Organisationen offiziell verboten waren. Über das Ende der „Illegalität“ (1933) wird in der Festschrift von 1935 folgendermaßen berichtet: „Die HJ tritt aus dem Dunkel ihrer „schwarzen Zeit“ 6
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