Jahrbuch_2020-21

103 SCHULE ins Licht der Neubeurer Geschichte. Reginald und die Seinen brauchen zu ihren Appellen nicht mehr in die versteckte Jagd des Totenwöhrs (schuleigenes Waldstück am RAB-See) zu schleichen; mit der Dorfjugend zusammen bilden sie nun eine kleine Armee.“ Wie es dazu, kam berichtet der eifrige Reginald selbst. In der „Schulzeitung 1933“ sieht der 14-jährige seine vordringlichste Aufgabe darin, „die Gruppe auch auf die umliegenden Dörfer zu erweitern, so daß sie keine reine Schülergruppe, sondern eine soziale Gemeinschaft aus allen Ständen (werde).“ Man sieht hier, wie das egalitär-sozialistische Moment im NationalSozialismus (!) den Jungen motivierte. Es meldeten sich jedoch nur 3 Jungen aus dem Dorf; auf der Schule dagegen gab es schon 30 Mitglieder (von damals 97 Schülern). Die Schloß-HJ wurde von Dr. Weber (neuere Sprachen) politisch und Herrn Dietz (Turnlehrer) sportlich betreut. Letzterer sollte ihr eine „strammere Haltung“ beibringen, die - so Reginald - „freilich bis jetzt noch viel zu wünschen übrig läßt“. Der allgemeine Aufbau der HJ war - wie überall im „Reich‘ - hierarchisch gegliedert: von unten nach oben in „Kameradschaften“, „Scharen“ und „Gefolgschaften“. In der „Schulzeitung 1934“ berichtet Reginald, daß es auf dem Schloß nun 3 „Kameradschaften‘ gebe (mit den „Kameradschaftsführern“ Cuno Bussche, Uwe Mutzenbecher und Peter Wirtz), die zu einer „Schar“ zusammengefaßt sind. „Scharführer“ ist Helmut Dax, nachdem Reginald selbst zum „Gefolgschaftsführer Oberinntal“ (= Inntal plus Samerberg) aufgestiegen war. Schon 1934 bildet die „Schar Neubeuern“ - mit Einbeziehung des Dorfes - 5 „Kameradschaften“. Schließlich findet man es besser, in den „Kameradschaften“ eine Trennung von „Dorf“ und „Schloß“ vorzunehmen, so daß für das „Schloß“ wieder 3 „Kameradschaften“ bleiben. Die „Schloß-HJ“ hat nun eine Stärke von 40 Jungen. Das „Jungvolk“, dem alle deutschen Jungen zwischen io und 14 Jahren beitreten sollten, untergliederte sich ebenfalls hierarchisch von unten nach oben in: „Jungenschaften“, „Jungenzüge‘ und „Fähnlein‘. Der „Scharführer“ Reginald (14 Jahre) beauftragte schon 1933 den Hitlerjungen Jockel Gruber (auch 14 Jahre) aus seiner Klasse, mit dem Aufbau einer „Jungenschaft“. Diesem gelang es, 22 Jungen aus der Dorfjugend zu rekrutieren. Schließlich waren es 53 - die Jungen der umliegenden Dörfer mitgerechnet. Die „Gefolgschaft Oberinntal“ der HJ gliederte sich 1934 in 4 Scharen zu je 3 Kameradschaften und hatte insgesamt 18o Hitleriungen. Das 250 Jungen starke „Fähnlein“ gliederte sich in 7 Jungzüge zu je 3 Jungenschaften. Der Begründer von HJ und „Jungvolk“ auf dem Schloss, Reginald von LeSuire, machte 1936 das Abitur und ging zur Wehrmacht, um Offizier zu werden. Die Aufgabe, die er sich für Neubeuern gestellt hatte, war nun erfüllt. Schon vor dem Gesetz über die Hitlerjugend vom r. Dezember 1936, daß die „gesamte deutsche Jugend in der Hitlerjugend zusammengefaßt (werden solle)“, war es ihm gelungen, fast alle Schüler der entsprechenden Altersstufen auf Schloß Neubeuern für diese Institution zu gewinnen. Reginald war ein hochmotivierter Patriot und - wenn es eine zutreffende Interpretation einer seiner Äußerungen ist - auch ein religiöser Mensch. Denn in einem Brief kurz nach seinem Abitur (8.10.37), in dem er der Baronin für die schönen Jahre auf dem Schloß dankt, freut er sich auch, daß PfarrerWillberg wieder an der Schule tätig ist, und bedauert, daß er seinen Morgenandachten so schlecht folgen konnte, da er am Morgen immer noch so müde gewesen sei. Reginald ist mit Eifer in den Krieg gezogen, um seine „Pflicht“ zu erfüllen. Er fiel schon in der zweiten Woche, am 7.9.1939, in Zgierz in Polen. Über Leutnant Reginald von LeSuire schreibt ein Freund, der ihn fallen sah: „Nur eines ist mir scheußlich nahegegangen, wie noch nie etwas in meinem Leben. Die Beerdigung Reginalds in Zgierz. Ich habe den lieben Kerl furchtbar gern gehabt, er war ein fabelhaft anständiger Mensch und ein prima Kamerad. Man hat hier draußen naturgemäß nicht allzuviel Sinn für theatralische Phrasen; aber angesichts Reginalds Tod ist es ein aufrichtiges Wort, wenn man vom Heldentod spricht. Zehn Minuten bevor er fiel, sagte er mir noch: „Jetzt möchte ich mal so richtig mit „Säbel auf‘ attackieren!“ Beim Angriff auf eine mit sechsfacher Übermacht besetzte Kaserne ging er dann lachend und aufrecht weit vor seinem Zuge vor, als ihn die MG-Garbe traf.“ - Sicher, es sind viele junge Menschen im Krieg gefallen, auch in den ersten Wochen; doch der Zeitpunkt hängt auch vom Grad des Einsatzes ab. Wer zur „Opferbereitschaft“ erzogen wurde, wird schneller zum 7

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