Jahrbuch_2020-21

104 SCHULE „Opfer“... „Politisch unzuverlässig“ Der Kriegsausbruch am 1. September 1939 brachte an den Schulen einige Unruhe. Freiwillige hatten sich gemeldet, sowohl unter den Lehrern als auch unter den Schülern, und andere Lehrer wurden eingezogen. Man fand Ersatz, indem vor allem weibliche Kollegen eingestellt wurden. Im Laufe des Septembers konnte im Schulbetrieb in Neubeuern wieder zur Tagesordnung übergegangen werden. Dennoch brachte der Kriegsausbruch täglich neuen Gesprächsstoff. Einige Kollegen waren „Parteigenossen“ und so blieb es nicht aus, daß bisweilen heikle Situationen entstanden. Die Baronin und Direktor Rieder warnten immer wieder Kollegen und auch Schüler vor unbedachten Äußerungen, zumal die Schule vom Ministerium einen nationalsozialistischen Heimleiter verordnet bekam, der zusammen mit dem „Blockwart“ - einem Lehrer der Schule - zur Kontrolle des politischen Geistes auf Schloß Neubeuern eingesetzt worden war. Bei einem der vielen Gespräche, die zwischen dem NS-Heimleiter und den Schülern stattfanden, kam man Anfang November 1939 auf die Frage, was denn passieren könnte, wenn Deutschland den Krieg verlieren würde. Der Heimleiter vertrat die Meinung, die Alliierten könnten in Deutschland eine konstitutionelle Monarchie nach englischen Vorbild einrichten. Da antwortete der adelige Schüler Hatzfeld, ein Patenkind des damals noch im Exil lebenden Ex-Kaisers Wilhelms II. , er würde sich unter diesen Umständen wünschen, daß Deutschland den Krieg verliert. Zunächst soll der Heimleiter nur mit erhobenem Zeigefinger gedroht haben, informierte aber dennoch etwas später Herrn Direktor Rieder und auch den Blockwart. Direktor Rieder erteilte dem Schüler eine „strenge Ermahnung“ und hoffte, der Vorfall sei damit erledigt. Doch als am 8.11.39 in München von Georg Elser ein Attentat auf Hitler verübt worden war, suchte man auch in Neubeuern nach Personen, die schon immer kritische Äußerungen getan hatten. Der Schüler Hatzfeldt wurde erneut verhört und seine Einstellung als untragbar beurteilt. Kurz darauf wurde eine anderer Fall bekannt. Es war üblich, die Namen gefallener SS-Männer den Schülern vorzulesen. Bei einer solchen Veranstaltung, soll der SchülerThomsen gesagt haben: „Gottseidank, wieder sieben von diesen SS-Schweinen weniger.“ Als er von einem NS-Schüler zur Rede gestellt wurde, entschuldigte sich Thomsen für seine Äußerung. Wieder versuchte Direktor Rieder die Angelegenheit im persönlichen Gespräch zu bereinigen. Doch der Blockwart ließ sofort eine Lehrerkonferenz einberufen und berichtete dem Ortsgruppenleiter von den genannten Vorfällen. Es blieb Direktor Rieder nichts anderes übrig, als sich in dieser Konferenz (13.11.39) für die Entlassung beider Schüler auszusprechen. Drei NS-Lehrer kündigten im Anschluß an diese Konferenz pikiert ihren Dienst, weil sie es ablehnten, in einer solchen Anstalt weiter zu wirken. Der Blockwart allerdings war mit diesem Ergebnis noch nicht zufrieden. Als der Ortsgruppenleiter vergeblich den Landrat in Rosenheim eingeschaltet hatte, um weitere Maßnahmen gegen Neubeuern einzuleiten (der Landrat, der einen Sohn auf dem Schloß hatte und sich gut mit Direktor Rieder verstand, reagierte nicht), veranlaßte er nun den Ortsgruppenleiter, die Gestapo in München einzuschalten. Doch auch die Gestapo reagierte nicht, so daß der Ortsgruppenleiter den in Nußdorf a. Inn ansässigen Reichsleiter Bouhler (das Haus von Philipp Bouhler war Vorbild für Hitlers Berghof am Obersalzberg) informierte. Daraufhin kam der Stabsleiter Klein vom Ministerium, um den Fall endgültig zu klären. Doch man hatte offenbar beschlossen, eine pädagogische Lösung zu finden. Klein tadelte sogar den Blockwart, daß er bei Einberufung der Konferenz Direktor Rieder übergangen hatte. Ansonsten bewunderte er die Schönheit des Schlosses und fuhr wieder ab. Bald darauf nahm das Ministerium die Entlassung der beiden Schüler zurück. Sie konnten in Neubeuern das Abitur machen. Über diese Vorfälle wurde eine Gestapo-Akte angelegt, die heute noch existiert und zu wissenschaftlichen Zwecken eingesehen werden kann. Aus ihr geht hervor, daß die Leitung von nun an bemüht war, - zumindest äußerlich - mehr den Ansprüchen des NS-Staates zu genügen. Gab es bis zum November 1939 kein einziges Führerbild im Landschulheim und wurden erst auf Druck des Ministeriums mehrere kleine Bilder Adolf Hitlers für die Schule angeschafft - über dem Kamin in der Aula hing groß die Reproduktion eines Madonnenbildes von Raffael, links daneben der Führer in Kleinformat, rechts daneben Hindenburg, so erhielt Professor Hildenbrandt von der Schulleitung nun den Auftrag, ein Portrait des Führers speziell für Neubeuern anzufertigen. Ein Abdruck davon ist der „Schulzeitung 1940“ vorangestellt. 8 ARCHIV

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