105 SCHULE War es auch auf Schloß Neubeuern bis 1939 in der Regel üblich, mit „Grüß Gott“ oder „Guten Tag“ zu grüßen, so bemüht sich die Schulleitung nun, die Schüler an den „deutschen Gruß“ zu gewöhnen. Das Landschulheim Neubeuern war den Nazis schon wegen der Herkunft seiner Schüler ein Dorn im Auge. Die Schülerschaft bestand 1938 zu 40% aus Mitgliedern des Adels, davon waren: 4 Prinzen, 5 Fürsten, 19 Grafen, 12 Barone und 22 einfache „von“. Diese Schülerschaft wurde in der Gestapo-Akte folgendermaßen beschrieben: „Etwa ein Drittel ist ausgesprochen degeneriert bzw. abnorm: Ein weiteres Drittel ist unansehnlich, wenig begabt und körperlich schlecht imstande. Ein Drittel sind überzüchtete, doch gut aussehende, meist blonde und blauäugige Adelssprößlinge von zweifellos hoher Intelligenz und guter Begabung.“ Auch hielt man den oft beschworenen „Neubeurer Geist“ für bedrohlich. Da dieser „Geist der Exklusivität“ auf viele Menschen sehr anziehend wirke, „werden auch alle die Schüler, die Anlage zur nationalsozialistischen Haltung haben, in wenigen Wochen von ihm absorbiert.“„Auch beruht die überall spürbare latente reaktionäre Gesinnung der Schülerschaft keineswegs nur auf dem unkontrollierbaren Einfluß des Elternhauses und auf Übertreibungen des jugendlichen Oppositionsgeistes, sondern findet in der Überlieferung und im „Geist des Hauses“ seine tägliche Nahrung und Bestätigung.“ Direktor Rieder stecke immer noch in „schwärzestem Liberalismus“ und versuche sich dem Anspruch des Nationalsozialismus dadurch zu entziehen, indem er sagt, daß er die Schülerschaft zu „staatsbürgerlicher Gesinnung“ erziehen will. „Die christliche Grundlage seines Landschulheims äußert sich außer in zahlreichen christlichen Bildern im Heim durch sonntäglichen Pflichtgottesdienst und durch gemeinsames Beten in den unteren Klassen (... ).“ Die Lage spitzte sich zu im Jahre 1940. Ein Obersturmbannführer der Waffen-SS hielt einenWerbevortrag im Landschulheim. Einige Schüler machten abfällige Bemerkungen, und ein Schüler, Sohn eines hohen NSFunktionärs in Berlin, erzählte davon arglos seinem Vater. Damit war für die Nazis das Maß voll. Das Landschulheim Neubeuern wurde für „politisch unzuverlässig“ erklärt und am 11. Februar 1941 geschlossen. Schloß Neubeuern als ‚Nationalpolitische Erziehungsanstalt‘ 1942-1945 Nach Schließung des „Landschulheims Neubeuern“ wurde das Schloß zunächst beschlagnahmt und für kurze Zeit der „Kinderlandverschickung“ zur Verfügung gestellt. Dann gingen Gerüchte um, daß höchste Parteispitzen (der Gauleiter, vielleicht sogar auch Reichsmarschall Göring - ein gebürtiger Rosenheimer), sich das Schloß aneignen wollten. Um etwaigen Überrumpelungsversuchen zu entgehen, entschied sich die Baronin, das Schloß dem Deutschen Reich zu verkaufen. Ihre Bedingung war, daß in den altehrwürdigen Mauern wieder eine Schule mit humanistischem Charakter eingerichtet werden sollte, sei es auch unter den Vorzeichen der „neuen Zeit“. In Berlin akzeptierte man diesen Vorschlag und beschloß, vom April 1942 an eine „Nationalpolitische Erziehungsanstalt“ in Neubeuern aufzubauen. „Nationalpolitische Erziehungsanstalten“ (offizielle Abkürzung: NPEA; landläufig „Napola“ genannt) gab es im Deutschen Reich bereits seit Anbeginn. Der „Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung“, Bernhard Rust, hatte diesen „Schultyp“ kreiert und - gleichsam als Geburtstagsgeschenk für Hitler - die ersten „Napolas“ am 20. April 1933 eröffnen lassen. „Napolas“ gab es in vielen „Gauen“ des „Reiches“. Wenn nun 1942 auch in Neubeuern eine Napola eingerichtet werden sollte, so war es zwar die erste im „Gau München-Oberbayern“ - wie der „Völkische Beobachter“ am 8.5.42 voll Stolz mitteilt -, aber der späte Zeitpunkt der Eröffnung (denkt man vom Ende des „Reiches“ her), zeigt schon, daß sich in der „Napola Neubeuern“ nicht mehr allzuviel Spannendes ereignet haben kann. Wer sich spezielle Erkenntnisse über das Wesen und Funktionieren einer „Nationalpolitischen Erziehungsanstalt“ erhofft, wird bei der Betrachtung Neubeuerns enttäuscht sein. Die Napola Neubeuern begann ihren Betrieb am 1. September mit zwei „Zügen“ - so hießen die SchulKlassen dieser Institution - und zwar mit dem ersten und vierten Zug, d.h. mit Zehn- und Dreizehnjährigen. Einige „Jungmannen“ - so nannte man die Schüler dieser Institution - kamen neu aus dem Umland, ei- 9
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