Jahrbuch_2020-21

113 SCHULE 17 und Seite an Seite auftreten mit einer “Adelsschule”, einem “kapitalistischen Wirtschaftsunternehmen” einer Privatschule, die aus Erziehung ein gutes Geschäft macht” - in einem Augenblick, wo “man“ selber mit fleckenreinem Image vor die neuen Machthaber treten wollte? Da war vieles klarzustellen und zurechtzurücken, bis aus der Versammlung heraus die Bereitschaft erkennbar wurde, einem eventuellen Antrag des LSH Neubeuern auf Aufnahme in die eben im Entstehen begriffene “Vereinigung der Landerziehungsheime” sich nicht zu widersetzen; einige Teilnehmer meinten sogar, “ihn zu begrüßen“. Aus dem Protokoll der Lehrerratssitzung im LSH Neubeuern am 26.3.35: “Dr. Müller gibt eingehenden Bericht über die Versammlung in Frankfurt. (...) Es wird der Beitritt des LSH Neubeuern zum Verband der deutschen Landerziehungsheime beschlossen.” Zu diesem Beschluß hatten aus langen Debatten hervorgegangene Überlegungen geführt, daß Neubeuern beim Zusammenschluß der Heime, denen gleiche Aufgaben obliegen und die von gleichen Problemen bedrängt werden, nicht fehlen dürfe - wie es ja auch von Vorteil sei, in der größeren Gemeinschaft der “Vereinigung” sich Gehör zu verschaffen und als Gesprächspartner ernst genommen zu werden. Weitere Abschirmung “Im Jahre 1934 entschloß sich Freifrau von Wendelstadt, das dem Betrieb des Landschulheims gewidmete Vermögen auch über ihren Tod hinaus der Fortführung des Landschulheims unter Zurückstellung der Interessen ihrer eigenen Familienangehörigen zur Verfügung zu stellen. Der Entwurf einer letztwilligen Stiftung wurde ausgearbeitet. Im Jahre 1938 hat sich dann Freifrau von Wendelstadt entschlossen, das Landschulheim Neubeuern schon zu ihren Lebzeiten auf breitere Basis zu stellen und insbesondere die Elternschaft näher heranzuziehen. Aus diesem Grunde erfolgte im Jahre 1939 die Gründung der “Gemeinschaft der Freunde des Landschulheims Neubeuern”. Die Gemeinschaft soll Sammelpunkt für die gemeinsamen Interessen der Eltern, Freunde und Förderer des Landschulheims Neubeuern sein. Der größte Teil der Elternschaft und der alten Schüler sind der Gemeinschaft beigetreten. Darüber hinaus hat Freifrau vonWendelstadt sich in ihrer Stellung als Inhaberin und alleinige Eigentümerin freiwillig, aber verbindlich beschränkt. Das dem Landschulheim gewidmete und der Freifrau v. W. gehörende Vermögen wird intern als Sondermasse behandelt und nach einem festen Finanzplan verwaltet, der die Gemeinnützigkeit der Verwaltung des Vermögens sicherstellt. Alle das Landschulheim N. betreffenden Fragen werden nicht mehr von Freifrau v. W. allein, sondern in letzter Instanz von einem Vorstand des Landschulheims entschieden, dem Freifrau von Wendelstadt, Herr Direktor Rieder und Herr Dr. HansWendelstadt als wirtschaftlicher Berater mit gleicher Stimmenmacht angehören. Die Tätigkeit des Vorstands unterliegt laufender Kontrolle eines Aufsichtsrates, der von der Gemeinschaft der Freunde des Landschulheims Neubeuern gebildet wird. Vorsitzer des Aufsichtsrates ist zur Zeit Herr Karl Henkell in Wiesbaden-Biebrich. Die Fortführung des Landschulheims über den Tod der Freifrau v. W. hinaus soll sichergestellt werden durch ein Vermächtnis des dem Betrieb des Landschulheims gewidmeten Vermögens an die ehemaligen Schüler des Landschulheims, die im “Bund der Neubeurer” vereinigt sind. Das Vermächtnis soll mit der Auflage ausgesetzt werden, das Landschulheim Neubeuern in der bisherigen Weise fortzuführen.” Aus einem Expose des Rechtsberaters der Baronin Wendelstadt, Freiherr von Stackelberg, Rechtsanwalt in Berlin, vom 21. Mai 1940 Skala der Konflikte Von der “illegalen” Zeit her gab es eine eigene SchulHitlerjugend; nach 1933 gab es auch eine Dorf-Hitlerjugend. Dieses Nebeneinander widersprach der nun propagierten “Volksgemeinschaft“. So wurde von oben her die Fusion befohlen. “Schloß-Buben” und “Dorf-Buben” kamen zusammen. Einzelberichte, daß es im “Schloß“ und in der “Schloß-Schule” am echten NS-Geist fehlte, kamen von den “Schloß-Buben” ins Dorf, von da in die Kreisleitung (die tägliche Morgenandacht, das Hitlerbild neben der Madonna, die Pflicht des Kirchgangs usw.). Und wenn auch jetzt die HJ.- Formation richtig funktionierte - der Baronin (die den “Völkischen Beobachter” nicht abonniert hatte) und dem Direktor (der lieber mit “Grüß Gott“ als mit “Heil Hitler” grüßte) wurden sorgfältig allerhand MinusPunkte registriert. 9. November 1939: Attentat auf den Führer. Erregte Gespräche darüber auch unter den Schülern. Einige unbedachte Äußerungen kritischen Inhalts von dreien unter ihnen werden, den Direktor übergehend, von einem 150 % igen NS-Lehrer an Parteistellen gemeldet, die ihrerseits gerne aus der Mücke den Elefanten machen. Für den Direktor Alarmstufe I: obwohl er es an genauesten Verhören, an schweren Strafen, an erklärenden und abschwächenden Berichten an den Landrat und an das Ministerium nicht fehlen läßt, muß er ohnmächtig zusehen, daß die Angelegenheit, riesig aufgebauscht, schon bei der HJ.-Führung, beim Ministerium, und sogar schon bei der Kanzlei des Führers in Berlin (Reichsleiter Bouhler) gelandet ist - wobei die von dem Lehrer gestarteten Anzeigen sich nun nicht mehr gegen die drei Schüler wenden, vielmehr erreichen wollen, daß “die Schule vom Schloß getrennt und unter Staatsaufsicht gestellt werde, wobei ein langjähriger Nationalsozialist und bewährter Pädagoge die Leitung übernehmen solle”. Sichtbares Ergebnis des ganzen Vorfalls: a) zwei Schüler wurden entlassen, durften aber, (durch eine vier Wochen später vom Ministerium angeordnete Umwandlung der Strafe in Androhung des Verweises) an der Schule bleiben; b) zwei Lehrer kündigten und verließen die Schule; c) andrerseits kündigte der Direktor dem Heimleiter, da er bei dem Verhör der Schüler in pädagogisch unverantwortlicher Weise vorgegangen sei; d) und beim Reichsleiter Bouhler (den der Direktor in Berlin am 29.11.39 aufgesucht hatte) blieb der Eindruck, „daß sich in Neubeuern eine Art reaktionärer Insel bilde“.

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