119 SCHULE 23 „Gönnen wollen wir meiner Schwägerin den Heimgang aus einer Zeit, die ihr nicht gemäß war, in dem Augenblick, da sie sich eine neue Bleibe sichern wollte; die ausziehen mußte aus dem Haus, das sie sich selber geschaffen hatte. Dies starke Herz, das die harten Schläge nach außen mit einer kaum zu überbietenden Haltung getragen hat, ist eben doch an all den Schicksalschlägen zerbrochen. Sie bekam wohl plötzlich eine Grippe, aber das war nicht die wirkliche Ursache ihres Todes; sie wollte einfach nicht mehr leben und hat das auch uns gegenüber in letzter Zeit viel geäußert. Ich denke jetzt täglich: könnte sie nur einen Teil lesen der Briefe all ihrer alten Schüler, sie würde es gar nicht glauben, daß sie selber gemeint ist. Sie hat sich wirklich ein Denkmal gesetzt in all diesen jungen Herzen.“ Die neuen Gäste...? Noch zu Ende April 1945 zog, von der eingestürzten Westfront her, eine Sanitätskompanie ein und etablierte im Schloß ein großes Feldlazarett, das, mit zahlreichem Ärzte- und Pflegepersonal, sofort seinen Dienst aufnahm und auch fortsetzte, als am 4. Mai ein amerikanischer Offizier das Schloß seiner (äußerst milden) Führung unterstellte. Das Lazarett wurde zu Anfang August aufgelöst. In die wiederum leer gewordenen Räume zogen zunächst vereinzelt und “wild”, dann von den Amerikanern in der UNNRA organisiert, die ersten D.P‘s ein. Die “Ausschlachtung“ der Räume nahm ihren Anfang; sie steigerte sich in dem Augenblick, als die Amerikaner ihre bis dahin sehr üppigen Lebensmittellieferungen an die UNNRA einstellten, so daß die D.P‘s auf “Selbstverpflegung” angewiesen waren. Die im Kellergeschoß des Schlosses untergestellten wertvollen Möbel des Reichsleiters Bouhler konnten dem Besitzer nicht mehr zurückgestellt werden; Bouhler und seine Frau lebten nicht mehr. Die Rückkehr Nach dem Dienst an Zerstörern auf den Philippinen wurde ich im Sommer 1945 durch das Deutsch, das ich während meines Jahres in Neubeuern gelernt hatte, dem Hauptquartier der amerikanischen Marinegruppe in Bremen zugewiesen. Endlich schaffte ich ein paar Tage Urlaub, einen Jeep und etwas Benzin, damit ich das Landschulheim besuchen konnte, das ich so sehr geliebt hatte. An einem sonnigen Nachmittag Ende August fuhr ich von München aus auf der Autobahn nach Süden, voller Nostalgie für glückliche Neubeuern-Tage. Nachdem ich die Ruinen einer in den letzten Stunden des Konflikts zerstörten Autobahnbrücke umrundet hatte, bog ich in Redenfelden ab, bog in Kirchdorf links ab und raste auf der fadenscheinigen alten Holzbrücke über das Gasthaus. Mein Herz machte einen Sprung, als ich die bekannte Silhouette des Schloßes sah. Das Dorf sah normal, unbeschädigt und zeitlos charmant aus wie immer. Aber ich fuhr weiter bis zum Hügel bis zum Landschulheim, ohne anzuhalten. Ich wusste nicht, was ich erwarten sollte, aber meine Visionen und Erinnerungen waren von großartigem Mund und der Hektik der Schulaktivitäten, von Kameraden, Freunden und der Freude von Neubeuern. Aber der Schloßhof war still und leer. Nichts regte sich. Ich parkte und legte meine Pistole auf den Boden des Jeeps. EineWaffe in meine alte Schule zu tragen, wäre ein Sakrileg gewesen, ohne Rücksicht auf Kameraden und Erinnerungen. Automatisch ging ich zum Eingang der alten Schule. Irgendwie schien es nicht richtig, die großen Portale der Baronin auszuprobieren. Ich stieß die Eingangstür der Schule auf und ging durch die Terrasse. Absolute Stille. Das Schloß war verlassen. Vorsichtig ging ich in das Gebäude, um meinen Weg zu unserem alten Zimmer auf dem Boden zu finden. Meine Schritte schwangen in den verlassenen Korridoren mit. Die Türen des Klassenzimmers waren aus den Angeln gerissen und zerstört worden, und die Räume waren freigelegt worden. Ich kam am großen Badezimmer vorbei. Waschbecken, Toiletten und sogar die Wannen waren herausgerissen worden. Alle Klempnerarbeiten waren weg. Leuchten, Lichtschalter und sogar die Heizkörper waren weg. DieWände ware nschmutzig und der Boden verkohlt. Es war, als hätte es in der Mitte des Raumes ein Lagerfeuer gegeben. Ich ging zum Fenster und schaute auf den Fluss und die glitzernden Berge dahinter. Ich weinte.“ Bill Wiedersheim (1974) („Winnetou“) Schüler 1935-1936 “Die für den Einzug ins Schloß vorgesehene NAPOLA sollte zunächst - aus Leiter- und Lehrermangel - keine eigenständige Schule sein, sondern eine Art Zweigstelle der Stamm-Napola Schulpforta, und wie Schulpforta als Humanistisches Gymnasium geführt. Die für Neubeuern angemusterten Buben stammten aus dem Münchner Raum; sie füllten die drei Unterstufenklassen. Dazu kamen zwei Mittelstufenklassen, die Schulpforta nach Neubeuern entsandte. Beim Näherrücken der Front konnten die “Bayern” in voller Ordnung nachhause entlassen oder ihren Eltern, die sie abholen kamen, übergeben werden. Die “Schulpfortaner“ konnten nicht mehr nach Thüringen zurück und mußten, als “Kinderlandverschickung” getarnt, in Nachbardörfern bleiben, bis sie einige Wochen nach Kriegsende nach Mitteldeutschland heimgebracht werden konnten. Das Schloß selber glich in den letzten Kriegswochen zeitweise einem Heerlager. Aus verschiedenen Napola‘s vor allem im gefährdeten Südosten des “Großdeutschen Reiches” kamen Schülergruppen mit ihren Erziehern und versuchten, in Neubeuern Halt zu machen. Zeitweise waren im Schloß, in der Turnhalle und wo immer es ging, an die 700 Menschen untergebracht . . . immer noch in guter Ordnung. Zwei Klassen einer Wiener Schule, Buben und Mädchen, waren und blieben noch da, als auf Geheiß eines amerikanischen Offiziers in den ersten Maitagen sich die Napola Neubeuern als aufgelöst betrachten mußte. Die kleinen musizierfreudigen Österreicher waren sehr beliebt sowohl bei den Amerikanern wie auch bei den neuen Gästen, die jetzt einzogen..dieWiener konnten erst im Sommer mit Bus in ihre Heimat zurückgebracht werden.” Dr. Erich Rahm (1975) Lehrer an der Napola Neubeuern 1942-45
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