129 SCHULE 33 weil dann bis zum Abrücken in den Schlafsaal um 21 Uhr genügend freie Zeit zur Verfügung stand. Worin bestand das „Schleifen“? Zum Beispiel in zig Kniebeugen, in Liegestützen oder in der Aktion, die sich hinter dem Begriff „Flagge Luzie“ verbarg (sich wiederholender Uniform- und Kleiderwechsel im Minutentakt). Dem schloss sich häufig nur mit kurzer Zeitvorgabe ein Spindappell an. Es war ratsam, das Spindinnere in der vorgeschriebenen Ordnung zu präsentieren. Klar, dass bei allem diesem Tun hin und wieder Stöhnen zu hören war, und auchTränen flossen. Aber im Laufe der Zeit wurden Vorfälle, die Anlass zum Schleifen gaben, immer weniger. Wir hatten gelernt, welchenWert es hatte, nicht aufzufallen, und überdies wohl akzeptiert, dass die Erziehung, so wie sie an uns praktiziert wurde, Bestandteil des Wesens einer Nationalpolitischen Erziehungsanstalt war. Ein langanhaltender Groll gegen unsere Stubenältesten kam deshalb auch nicht auf. Bis zum Ende des Schuljahres hatten sie uns zusammen mit den übrigen Schülern des 5. Zuges verlassen. Der Krieg benötigte ihre Kräfte als Flakhelfer. Wesentlich gelassener ging es im neuen Jahr mit unseren neuen Stubenältesten zu, die der 4. jetzt 5. Zug stellte. Wir als nunmehr 2. Zug hatten inzwischen ja unsere Lektionen gelernt! Nach Jahresfrist wurden auch diese Stubenältesten zu den Flakhelfern eingezogen. Übriggeblieben waren, da noch nicht alt genug, einige wenige SchulpfortaSchüler, von denen einer bestimmt wurde, für Zucht und Ordnung des jetzt 3. Zuges zu sorgen. Was er hin und wieder auch tat. Unsere Erzieher haben sich nach meinem Empfinden bei der Erziehung, soweit es die formale Ordnung anbelangte, weitgehend zurückgehalten. Sie haben die Art, in der vorgegangen wurde, sicher größtenteils gebilligt, zumindest aber stillschweigend geduldet. Ich sage das ohne Vorwurf, denn ganz Deutschland war ja zur damaligen Zeit militärisch ausgerichtet. Es ist gar nicht so einfach, zu den Erziehern insgesamt gültige Aussagen zu treffen. Wenn ich mich zu einzelnen Erziehern äußere, so kann es sich hierbei nur um solche Lehrer handeln, zu denen ich überhaupt eine Beziehung, gleich welcher Art, aufgebaut habe. Eine mögliche Quintessenz aus meinen Schilderungen wird zweifelsohne diese sein, dass wir es mit Lehrern zu tun hatten, die sich kaum von Lehrern anderer Schulformen - damals und heute - unterschieden. Zumindest lehrt dies die Erfahrung, die ich im Laufe meiner Schulzeit mit meinen Lehrern gemacht habe. Zwar ist anzunehmen, dass der größere Teil unserer Erzieher überzeugte Nationalsozialisten waren, aber keiner vermittelte den Eindruck, ein in der Ideologie verbohrter Parteigänger zu sein. Insofern war auch in diesem Punkt eine Übereinstimmung mit einem Grossteil des deutschen Volkes festzustellen. Bezogen auf uns Neuankömmlinge sollte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, dass wir schon vor unserem Eintritt in die NPEA durch Volksschule und durch unsere Zugehörigkeit zum Deutschen Jungvolk umfassend mit dem nationalsozialistischen Gedankengut in Berührung gekommen waren. Einen speziellen Unterricht mit dem Ziel einer Vertiefung dieses Gedankengutes gab es in meiner Erinnerung nicht. Sie war auch nicht vonnöten, da wir wie das übrige Deutschland der allgemeinen Propaganda ausgesetzt waren. Der Führer war die alles überragende Lichtgestalt. Was ich in der Nachbetrachtung des Verhältnisses zwischen unseren Erziehern und uns ‚Jungmannen‘ jedoch als pädagogisches Manko ansehe, ist dies: Wir wurden als kleine uniformtragende Personen wie Erwachsene behandelt. Es galt das militärische Reglement (von uns als notwendiges Ordnungsmittel akzeptiert), der ganze Tagesablauf war in eine feste auf Disziplin und Drill ausgelegte Ordnung gegossen, Platz für nach außen getrageneGefühle gab es da nicht.Mit anderenWorten: Das, was einem 10jährigen in der Konfrontation mit völlig neuen unvermittelt an ihn gestellten Ansprüchen als mögliche Folge überkommt, nämlich Heimweh, wurde von unseren Erziehern vielleicht vermutet, aber öffentlich nicht wahrgenommen. Über die Heftigkeit von Heimweh braucht an dieser Stelle wohl nicht berichtet zu werden. Mit seinen Gefühlen musste der Jungmann alleine fertig werden. Zumindest erging es mir so, vielleicht auch den andern. Irgendwie verbot sich ein Zugehen auf einen Erzieher, man wollte ja nicht als Weichling erscheinen. Denn es galt der Spruch. der schon weit vor der Aufnahme auf die NPEA uns Jugendlichen und im Übrigen dem deutschen Volk insgesamt vermittelt worden war: Gelobt sei, was hart macht. Dass von einem Erzieher Heimweh zum Thema gemacht wurde, ist mir nicht erinnerlich. Ich möchte nicht unterstellen, dass es bei dem einen oder anderen Lehrer an der nötigen Sensibilität gefehlt hätte, wenn sich ein Schüler offenbart hätte. Aber dazu hätte es eines ersten Schrittes durch den Erzieher bedurft. So galt sicher auch hier: Gelobt sei, was hart macht. Fazit: Die Befreiung aus dem Dilemma des Heimwehs wurde dem Jungmann überlassen. Ich für meinen Teil und wohl die meisten meiner Kameraden haben diese Befreiung geschafft. Die Anstaltsleitung hatte für die ersten Wochen der Anstaltsleiter von Schulpforta Dr. Person übernommen. In meiner Erinnerung nimmt er so gut wie keinen Platz ein. Ich sehe ihn allenfalls als schlanken, mittelalterlichen Menschen, der mir den Eindruck eines vornehmen Herrn vermittelte. Hatte er doch, als er mich beim Rundgang durch unsere Stuben beim Lesen von Erich Edwin Dwingers „Zwischen Weiß und Rot“ antraf und dies lobend kommentierte,
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