134 SCHULE meiner Mutter war weder am Vortage noch jetzt mir gegenüber erwähnt worden. Er hatte wohl seine Erledigung gefunden. Die Atmosphäre im Klassenraum war entspannt, Dr. Rahm hielt seinen Unterricht in der gewohnt ruhigen Art. Als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und Hauptzugführer Stadelmann mit hochrotem Kopf und der Mitteilung hereinstürzte: „Befehl von Heissmeier (Inspekteur der NPEAs mit Sitz in Berlin), alle Jungmannen, die noch rechtzeitig vor den amerikanischenTruppen ihre Heimatorte erreichen können, sind sofort nach Hause zu schicken!“ Abrupt, aber wirklich abrupt, wurde der Unterricht von einer auf die andere Sekunde abgebrochen, und das, was meine Mutter in ihrem Brief leise und zurückhaltend angedeutet hatte, wurde in diesem Augenblick ohne jeglichen Kommentar umgesetzt. Ich weiß noch, dass Gedanken durch meinen Kopf gingen, ähnlich wie dieser: Schau mal, was vor 24- Stunden noch als fast ehrenrührig angesehen wurde, geht nun anstandslos über die Bühne. Ich kann mich auch noch erinnern, dass sich ein Gefühl der Enttäuschung einstellte. Wir wurden auf unsere Stuben geschickt, um unsere Sachen für die Heimreise zu packen. Dazu bekamen wir die Möglichkeit, uns auf der Kleiderkammer so viele Kleidungsstücke (Hemden, Unterhosen, Socken) geben zu lassen, wie in unseren Tornister passen würden. Wobei nicht vergessen wurde, die Stücke fein säuberlich unter unseren Namen zu registrieren. Nach dem Endsieg würden wir ja zur Anstalt zurückkehren und die Sachen auf der Kammer wieder abgeben müssen. Absurd, aber Ordnung musste sein. Mit einem letzten „Heil, Hitler“ und ein paar Butterbroten für unterwegs habe ich mich beim diensthabenden Zugführer (einem fast unbekannten Erzieher, der erst ganz kurz vorher nach Neubeuern gekommen war) abgemeldet. Mit guten Wünschen wurde ich entlassen. Trotz mangelhafter Transportmöglichkeiten bin ich wohlbehalten am Abend bei meiner Mutter eingetroffen. Ich habe meine Uniform noch drei Tage getragen. Meine Mutter meinte dann: „Ich glaube, es ist besser, wenn Du sie jetzt ausziehst:“ Was ich dann ja auch getan habe. Meine Zeit auf der NPEA Neubeuern war damit vorbei. Geblieben sind die beiden Schulterstücke meines Uniformmantels und die Erinnerungen an eine außergewöhnliche Zeit. 38 Blick zum Heuberg von der Asten Astenhof Winter 1942-43
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