139 SCHULE Der Furz „Wer war das?" entfuhr es dem schockierten Lehrer, der das nach verfaulten Eiern duftende Gemisch wohl oder übel einatmen mußte, da der beengte kaum nicht einmal ein Fenster hatte, um den Eindringling rauszulassen oder das Parfum gleichmäßig an alle zu verteilen. Irgendwie hatte der Furz eine Affinität zur Obrigkeit und blieb vor allem im vorderen Drittel des Labors hängen, wo sich auch die geruchsintensiveren Experimente abspielten. Am Anfang dieses Vor- bzw. Nachfalls stand der Furz nicht einer jener fröhlichen Magenwinde, die, frei nach Martin Luther, niemals einem verzagten Arsch entwischen können und ihr Kommen oft mit einem triumphalen Fanfarenstoß ankündigen, sondern einer von der eher mickrigen Sorte, der meiner damaligen Gemütsverfassung entsprach und mir heimlich, still und leise entwich, gerade als unser oberster Kriegsherr und Biologielehrer, Dr. Erich Rahm, uns Trantüten mit viel Geduld die Geheimnisse des Lebens zu erklären versuchte. Da ich als Journalist gewohnt bin, Wichtiges erst in letzter Minute zu erledigen, da mir sonst der nötige kreative Druck fehlt, habe ich diese historische Begebenheit aus dem Sommer 1944 erst gestern - also 57 Jahre nach der Tat - zu Papier gebracht. Hier ist das profane Ergebnis dessen, woran ich mich - mit Hilfe unseres Schul- und Menschenfreundes Saumweber, damals allgemein als „Sumbo“ bekannt - noch erinnere. Der Sumbo senkte dehmütig den Kopf und nahm die Strafe an. Ich traute mich nicht mehr, meinen Teil der Schuld einzugestehen, zumal das Damoklesschwert der Strafarbeit für alle ja jetzt abgewendet war. Erst Jahrzehnte später bei einem unserer ersten Klassetreffen gestand ich dem Menschenfreund Helmbrecht, daß ich der wahre Missetäter war. Ich hoffte noch immer, daß er sich nicht ohne eigene Schuld zu der anrüchigen Geschichte bekannt hatte, mußte aber erfahren, daß er als wahrer Philantrop gehandelt hatte. Ein edler Mensch fürwahr, der sich nicht scheut, selbst Taten zu bekennen, die er nie begangen hat. Aus diesem Anlaß schlage ich vor, unseren Schulfreund Helmbrecht Saumweber heute mit dem „Sumbo-Orden" für heldenhaftes Verhalten hinter dem Feind zu ehren. Und darauf ein dreifach donnerndes „Pfff-Bumm"! Ich sagte also erst einmal nichts, aus Angst, erneut unangenehm aufzufallen. Dr. Rahm war wütend und jagte uns in den Flur, um dem Furz Gelegenheit zu geben, sich zu verflüchtigen. Der machte es sich aber bei der schlechten Zirkulation und der warmen Witterung zunächst gemütlich unter'm Dach, was wiederum Dr. Rahm in Rage brachte; „Ich frage noch einmal, wer das war. Wenn sich jetzt keiner meldet, gibt es Strafaufgaben für den ganzen Zug." Ich war wie vom Donner gerührt. Sollte der Sumbo zufällig just zum gleichen Zeitpunkt wie ich seine Verdauung anrüchig beendet haben .... Oder wollte er nur die Strafe auf sich nehmen, um der Klasse die Strafarbeit zu ersparen? Wahrscheinlich hatten wir alle das gleiche Anstaltsessen verdrückt, das die Blähungen ausgerechnet im Biologielabor.... Ich wußte nicht, was ich denken sollte, als der arme Sumbo die aufgestaute Wut des Lehrers zu spüren bekam: „Du schreibst jetzt 100 Mal, daß Du Dich im Unterricht anständig aufzuführen hast!" So oder so ähnlich klang es im Labor. Ich war ziemlich verzweifelt, obwohl ich eigentlich nicht glaubte, daß ich jetzt noch entdeckt werden könnte, wollte mich aber eingedenk unseres Ehrenkodex gerade zu meiner Missetat bekennen, als sich hinter mir der „Sumbo" plötzlich laut und vernehmlich räusperte: „Ich war,' s, Herr Zugführer!" Keiner hörte oder sah den Eindringling, doch in der räumlichen Enge des Biologielabors direkt unter dem Dach von Schloß Neubeuern, wo ca. 30 von uns eingepfercht waren, war er nicht zu überriechen. Er kroch wie Kampfgas in jede Ecke des Labors und arbeitete sich schließlich hinterlistig bis zur Nase von Dr. Rahm vor. Mir war der Zwischenfall furchbar peinlich. Einerseits waren wir erzogen worden, immer dieWahrheit zu sagen und wenn nötig, die gerechte Strafe für eventuelle Missetaten auf uns zu nehmen, aber andererseits war mein Status als Eliteschüler in Neubeuern zu diesem Zeitpunkt schon stark angeschlagen. Nicht nur wegen der schlechten Noten in den Kernfächern, sondern auch wegen zweier Verweise, die ich mir im Lauf des Jahres 1944 eingehandelt hatte: Einmal, weil ich in purer Unkenntnis botanischen Grundwissens den Rittersporn vor dem Schloß geköpft hatte, noch ehe „das Unkraut" zu voller Pracht erblüht war, und ein zweites Mal, als ich versuchte, den Weg zur Negertrommel im Skilager (auf der Asten) mit einer brennenden Streichholzschachtel zu finden, womit ich nach Meinung der Aufseher den ganzen Bauernhof hätte abbrennen können. Werner Zwick Werner Zwick und Dr. Rahm mit Flöte 43
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