157 SCHULE ich manches Mal die Zähne zusammengebissen, bis ich lernte, wie man in die eigene Gruppe eingebunden sein musste, um von den Zugführern respektiert zu werden. Dazu hat SeppTaubeneder viel beigetragen. Auf einmal klang mir das Klappern der Türen in den Ohren, wenn der „Jungmann vom Dienst“ von Bude zu Bude lief und uns zum „Fertigmachen zum Abendessen“, „Fertigmachen zum Ausmarsch“ oder „Fertigmachen zum XYZ“ aufrief und dem wenige Minuten später das Rappeln der Schuhe folgte, wenn wir in unserem Gang antraten, dann dieTreppen hinunter auf Stufen und Geländer stürmten und unten im Freien, wieder gesammelt, in Reih und Glied stehen mussten. In den Nachkriegsjahren, als ehemalige ausländische Zivilarbeiter im Schloss eingelagert waren, haben viele der alten Räume mit den Stuckaturarbeiten an Decken und Wänden gelitten, die uns das alte Gemäuer lieb gemacht und Ehrfurcht vor der Vergangenheit eingeflößt hatten. Als ich später Antoine de SaintExupery las, der schrieb, man solle, um das Gefühl für das Geheimnis zu erhalten, in jedem Haus einen Raum lassen, zu dem keiner Zutritt hat, musste ich an das Schloss Neubeuern denken, wo auch einige Gänge und Räume, die damals nicht belegt waren, für uns mystisch verschlossen blieben. Sehr profan ging allerdings die damalige Verwaltung mit der Kapelle um, in deren Bänken unsere Ski standen. Es war eine Freude, die barocke Kapelle nun bei unserem Besuch wieder renoviert bewundern zu können. In meine Erinnerung eingeprägt, bleibt auch die Bibliothek, in der wir mit Dr. Rahm Heimabende verbrachten, bei denen viel gesungen und Blockflöte gespielt wurde. Da saßen wir im Kreise in dem großen holzgetäfelten Raum, um den oben eine dunkle Holzgalerie mit vielen Büchern verlief und einer Tür, die so vermute ich, in den Gang zur Wohnung von Dr. Rahm, dem Leiter der Anstalt führte. Heute frage ich mich, und wir haben es bei unserem kürzlichen Klassentreffen diskutiert, ob wir in dieser Zeit besonders indoktriniert wurden. Eine Frage, die ich spontan verneinte. Aber ich bin sicher, dass diese Abende der Doktrin des Dritten Reichs dienten. Auch erinnere ich mich, dass wir Sinnsprüche und Gedichte für die Feier einer der Gedenktage dieser Zeit lernten und vortrugen. Besondere Indoktrination war aber kaum mehr nötig, denn in dieser Zeit waren alle einer ständigen Propaganda durch Radiosendungen, Bücher und Kriegsgeschichten, die wir mit Eifer lasen, ausgesetzt. Sehr ernste Gespräche führten wir mit Dr. Rahm als Anfang 1945 klar wurde, dass der Krieg verloren werde. Und ich entsinne mich seiner ehrlichen, zweifelnden Haltung. Wir hatten miterlebt, wie die Alliierten Kräfte sich über Italien stetig weiter nach Norden kämpften, wie sie in der Normandie landeten, Frankreich nahmen und in Deutschland einmarschierten. Den Fall von Königsberg, wo ich vor Wien acht Jahre meines Lebens verbracht hatte, hörte ich Ende Januar 1945 im Radio in einem Skilager gegenüber dem Gerlos. Breslau folgte. Schulkameraden verloren ihre Väter, dann wurden ehemalige Schüler, erst 18- oder 19jährige, als gefallen gemeldet. Wer Augen hatte, konnte das Ende sehen. In München wurde ich auf dem Bahnhof bei der Heimreise in den Weihnachtsurlaub 1944 von fremden Leuten auf die „verrückte“ Uniform angesprochen, die wir „noch“ trugen. Und meine Klassenkameraden berichteten von der Untergrundbewegung, die sich dort bildete. München, „Die Stadt der Bewegung“, wie sie in der damaligen Propaganda genannt wurde, wurde zur Stadt der Gegenbewegung. Und wir trugen noch die Uniform der Kadetten der Nationalpolitischen Erziehungsanstalt. Von unseren Lehrern bleibt mein Eindruck, dass sie ihre Aufgabe mit Verantwortung wahrnahmen. Sie waren im Krieg verwundet worden und vom Kriegsdienst freigestellt. Auch ihre Frauen nahmen für uns sichtbar am Leben in der Anstalt teil. Wenn nirgends anders, so haben wir sie in den Gewölben des Kellers getroffen, wenn die Flugzeuge über uns hinweg zu den Angriffen auf München, Augsburg oder Nürnberg flogen, und wir bangten, welche Stadt, in der wir unsere Eltern wussten, wohl diesmal dran sei. Die Lehrer waren Berufspädagogen, meist aus Schulpforta. Der Schulleiter war Dr. Person, zugleich Leiter der Napola Schulpforta. (lebte 2004 noch mit 106 Jahren) Zuführer (Klassleiter) des 1. Zuges war Dr. Erich Rahm. Er wurde beeinflusst von Rudolf Steiner (Waldorf - Schulen) und von Hermann Lietz, Gründer von Landschulheimen. Für uns war er kein Parteifanatiker, sondern Erzieher mit dem Ziel, Kameradschaft, Selbstdisziplin, Liebe zur Natur und zur Musik zu entfalten. Daher gestaltete er Pflanzen- und Blumenausstellungen, lehrte uns viele Lieder. Dr. Person Schulleiter, viel in Schulpforta Dr. Erich Rahm Zugführer; Biologie, Erdkunde, Singen (ab 1943 Leiter) Dr. Hans Seehase Latein, Deutsch Hans Stadelmann Deutsch, Griechisch, Latein, Geschichte Rudolf Luckinger Mathe, Physik (später FinsterwaldGymnasium Rosenheim) Hans Kiessling Latein (+ Russland) Kamradek Erdkunde, Sport Groen (Holländer) Sport Frau Fischer Töpfern Bibliothek Schloss Neubeuern ARCHIV 61
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