158 SCHULE 62 in Neubeuern wenig, denn wir wollten natürlich unsere Heimfahrten nicht in Frage gestellt wissen. Die Verpflegung war in diesen schweren Monaten vor dem Kriegsende einigermaßen gesichert. Nur beim Dienst in der Telefon Zentrale erlebten wir mit, welche Mühe sich die Anstaltsleitung machte, für die 120 Schüler ausreichend Brot zu beschaffen. Erst am Ende des Krieges, als weitere 120 Schüler aus Wien und Kaiserslautern bei uns eintrafen, hatten wir Hunger. Pellkartoffeln und Rote Rüben waren zum Einheitsgericht geworden und Pausenbrote dienten als Tauschwährung. Für ein oder zwei dieser Doppelschnitten konnte man sich langersehnte Kleinigkeiten von Klassenkameraden erwerben. Dafür schob man dann ein oder zwei Tage Hunger. In dieser Zeit waren die seltenen Fresspakete von den Eltern Gold wert und wurden mit den Stubengenossen geteilt. Sportunterricht und Spiele nahmen an den Nachmittagen einen wesentlichen Raum ein. Heute profitiere ich von dem Ansporn, der damals in uns gepflanzt wurde, obwohl ich im Vergleich zu meinen Klassenkameraden im Sport schlecht war und manche Stunden Strafdienst dafür leisten musste, weil ich die Leistungen für das Sportabzeichen nicht schaffte. Unverständlich ist mir heute, wieso sich damals kein Sportlehrer bereitfand, unsere Gruppe von vier bis fünf schwächer gebauten Schülern so zu trainieren, dass wir die Leistungen erbringen konnten. Heute würde man das Bodybuilding nennen. Strafdienst war dagegen eine sinnlose Maßnahme. Geländespiele und Schießen gehörten zu den selteneren Nachmittagsprogrammen, die ich lieber mitmachte, da hier eine ruhige Hand oder Gewandtheit gefragt waren. Die Ausrüstungen für Sport und Spiel waren zwar im Vergleich zur heutigen Heimschule puritanisch. Scham überkommt mich allerdings heute, wenn ich daran denke, wie wir bei unseren Ausmärschen, ohne darüber nachzudenken, die Lieder der damaligen Zeit sangen und eben auch das Lied, das Fritz Stern, der 1999 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, vor seiner Immigration das Herz erstarren ließ: „und wenn das Judenblut vom Messer spritzt, dann geht‘s noch mal so gut“. Guido Knopp hat in seinem Buch „Hitlers Kinder“, eingehend dargestellt, wie wir als Jugend in dieser Zeit mit allen Mitteln zu Hochleistungen angespornt wurden, mit Verführung, mit begeisternden Programmen, mit Appellen an die Liebe für Vaterland und den Führer, mit der Übertragung von Verantwortung, mit Propaganda und eben auch mit Hetze und Hass. Ich habe meinen Söhnen das Waldstück gezeigt, wenige Kilometer vom Schloss entfernt, in das damals ein Der zerstörte Münchner Hauptbahnhof kurz nach Mich hat beeindruckt, als ich später von Frau Rahm hörte, dass ihr Mann, als nach dem Einmarsch der Amerikaner alle Lehrer in einem Internierungslager festgehalten wurden, dem Leiter dieses Lagers bei der Verhandlung seines „Falles“ so engagiert von der Erziehungsarbeit in Neubeuern vortrug, dass sie sich danach, dann privat, noch lange darüber unterhalten haben. Ich denke dankbar an Neubeuern und davon nicht zu trennen, an unsere Erzieher. Wir wurden hier vor den furchtbaren Luftangriffen verschont. Als die Tagesangriffe einsetzten, haben wir den Unterricht sogar im Freien fortgesetzt, während Kosti von Brevern, mit einem Horn ausgestattet, vom Turm aus den Himmel beobachten und Ausschau nach den Fliegern halten musste, um bei Gefahr sein Signal zu blasen. Furcht hatten unsere Lehrer vor dem Angriff von verstreuten, angeschossenen Fliegern, die ihre Last ablassen mussten, und beliebige Ziele suchten. Tiefflieger machten in den letzten Monaten sowieso mit ihrer Jagd auf Züge, Autos, LKWs und selbst einzelne Menschen die Wege und Straßen unsicher. Der schulische Unterricht, der gut war, konnte so in Neubeuern ungestörter fortgeführt werden, als in vielen anderen deutschen Städten. Zerbombt und brennend haben wir allerdings München erlebt, durch das wir auf den Heimfahrten in die Ferien mussten. Ende 1944 wurde der Hauptbahnhof in Trümmern gelegt und wir haben uns zu zweit oder dritt vom Ostbahnhof bis Laim oder Pasing durch die vom Schutt notdürftig geräumten Straßen geschlagen. Viel zu Fuß mit unseren Tornistern auf dem Buckel, denn die Straßenbahnleitungen waren oft getroffen. Davon sprach man Zuhause oder Der zerstörte Münchner Hauptbahnhof kurz nach der Kapitulation. https://www.br.de/nachricht/luftbild-muenchen-hauptbahnhof-108.html Kosti von Brevern 1. Reihe Mitte (DOEDTER)
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