Jahrbuch_2020-21

160 SCHULE Diesen Brief habe ich als 11-Jähriger 1944 meinemVater in die Gefangenschaft nachTexas geschrieben. (Originaltext) Reit imWinkl den 29.12.44 Liebes Vaterle! Mir geht es in der Schule gut. Meine Noten im Zeugnis sind gut ausgefallen. Bei unserer Schule liegt noch kein Schnee. Wir hatten am 15.12.1944 Ferien. Ich kam erst am nächsten Tag heim. In unserer Schule war in den letzten Tagen eine Oper „Hänsel und Gretel“. Es war aber kein Orchester dabei nur Klavier und Geige. Die Spieler kamen aus München. - Es wurde 4 Mal gespielt, 1 Mal durften wir es sehen, dann das K1V-Lager, die Einwohner selber und dann noch einmal. Wir haben auch eine Nikolaus-Feier gehabt, die so ausfiel: Zuerst mußten wir in einer großen Halle Abendessen, vor uns auf dem Tisch standen noch ein Teller von Plätzchen. Nach dem Abendessen kam der Nikolaus mit zwei Teufeln. Nikolaus hatte einen Bogen Papier bei sich und las nun die Bösewichte vor. Ich war nicht dabei. Sie mußten heraustreten, dann wurden sie durchgehauen. Sie durften dann in einen großen Sack hinein langen und ein kleines Paket herausholen. Wir haben heuer zu Weihnachten wieder einen Tannenbaum bekommen, er war nicht ganz so schön wie der Baum von 1943. Ich habe eine schöne Schihose bekommen und sehr viel Bücher. Zu meinen Geburtstag am 4.9.44 habe ich eine Uhr bekommen. Bei ihr ist schon öfter das Schräubchen abgebrochen. Einmal wurde sie schon gemacht. Ich habe der Mutti zu Weihnachten viele Sachen geschenkt, die ich in der Schule gedreht habe. Zwei Vasen, einen Topf, ein Untersätzchen und zwei kleinere Sachen. Ich fange jetzt mit Cello an. Es geht schon schwerer wie Klavier. Mein Klavierlehrer ist der blödeste Hund, den ich kenne. Der läßt mich nicht einmal Tonleitern üben, drum kann ich auch gar nicht gut spielen. Nach den Ferien höre ich mit Klavierspielen auf, weil ich bei ihm doch nichts lerne. Wetzi ist ein ganz fauler Sack. Sie tut nichts was ihr angeschafft wird. Ich habe in den Karl May Bänden und Büchern viel von Texas gelesen. Bei uns schneit es schon wieder. Die Straßen sind ganz glatt gewesen. Die Lofer ist mit einer dicken Eisschicht an manchen Stellen überdeckt. Gestern waren wir oben beim Heick. Es war sehr schön. Wir fuhren bald ab. Die Mutti hat ihre alten zerfetzten Schi uinschwere Wehrmachtsschi umgetauscht, es ist eine Federbindung daran. Sie steht so fest drin, daß sie ihre Schi fast nicht derlenkt. Im Zeugnis habe ich in Turnen: Leichtathletik 2, Kampfspiele 3, Geräteturnen 1, Geländesport 3. Künstlerische Ausbildung: Singen 3, Instrumentalmusik 2, Werkunterricht 3, Töpfern 2, Handschrift 3. Wissenschaftliche Ausbildung: Deutsch 4, Geschichte 4, Biologie 3, Erdkunde 3, Mathematik 2, Latein 3. Bemerkung habe ich keine. Helmut Bayer Erinnerungen Helmut Bayer Wir stehen um 7 Uhr auf. Es kommt der Zugführer vom Dienst herein und ruft „Aufstehn, guten Morgen Jungmannen!“ wir stehen auf und bauen unser Bett. (Zugführer vom Dienst Z.v.D.) Wir gehen auf den Waschsaal dann, und waschen uns sauber. Nachher gehen wir auf Stube und ziehen uns an. Bald darauf kommt der Jungmann von Dienst (Jgm.v.D.) und ruft: „Fertigmachen zum Raustreten!“ Wir treten auf den Stuben an und ein Bestimmter läßt zum Antreteplatz des Zuges abrücken. Wenn dann alle da sind und es pfeift: „Raustreten!,“ dann rücken wir hinunter in den Speisesaal. Jeder stellt sich vor seinen Stuhl und wartet bis der Z.v.D. kommt. Dann wird ihm gemeldet und er läßt hinsetzen. Wir bekommen eine einfache Suppe. Wenn alles fertig gegessen hat, ruft er: „Aufstehen, Abrücken!“ Wir gehen auf die Stube und richten unsere Schulbücher her. Einer läßt dann die Stube zum Unterricht abrücken. Wir gehen wieder zum Antreteplatz des Zuges und wir marschieren hinunter zum Unterrichtssaal. Einer steht dort der die Mannen des 2. Zuges zählt. Der Jungmann v.D. pfeift die Stunde an. Jetzt beginnt der Unterricht. Bei Rechnen kommt unser Zugführer herein. Es wird ihm gemeldet, dann läßt er hinsetzen. Bei ihm geht der Unterricht schnell durch Geschimpf, Spotten und Gehaue vorüber, aber trotzdem lernt man bei ihm was. Es wird die Stunde ausgepfiffen und wir laufen hinaus auf die Terrasse. Es ist zehn Minuten Pause, dann stürmen wir wieder in das Klassenzimmer. Es wird wieder dem Zugführer gemeldet der gerade da Unterricht hat. Wir haben Deutsch bei Zugführer Stadelmann. Er macht uns immer lustig. Wenn er einen erwischt, der nicht aufpaßt, da strahlt er über das ganze Gesicht und freut sich. Dann macht er einen großen Satz und springt auf denjenigen zu und packt ihn bei den Haaren und ruft: „He du Burrrsche! Magst a Schellln, kriegst a gegen SchellIn.“ Jetzt haut er ihm zwei herunter, dann geht er wieder vor und stellt so dumme Fragen, daß man sie nicht beantworten kann. Nach der 3. Stunde haben wir 20 Minuten Pause, auch gibt es für jeden ein Doppelbrot. Wir haben im Ganzen 5 Stunden Unterricht. Nach dem Unterricht geht alles auf die Stuben, und dann geht alles wie in der Früh. Der Zug rückt aber jetzt nicht gleich in den Speisesaal, sondern auf den Apell Platz, dort wird auch dem Z.v.D. gemeldet. Auch wird dort die Post verteilt. Wir rücken dann in den Speisesaal ab. Drinnen läßt der Z.v.D. hinsetzen. Es gibt am Dienstag immer Mehlspeise. Nach dem Essen ist eine Stunde Bettruhe. Nachher haben wir Wehrsport oder Schießen. Schießen mag ich lieber, weil ich darinnen gut bin. Nach dem Schießen haben wir Kaffeetrinken. Um 5 Uhr haben wir Arbeitsstunde.Wir machen da die ganzen Aufgaben, die wir im Unterricht aufbekommen haben. Nach der Arbeitsstunde geht es genauso wie Mittags. Am Abend gibt es Pellkartoffel mit Quark. Wir gehen um 9 Uhr ins Bett. Nun bleib gesund und froh. Helmut Bayer Eintritt 1.9.1943 64

RkJQdWJsaXNoZXIy OTQ4NjU5