162 SCHULE Liebe Freunde, Ihr habt mich gebeten darüber zu berichten, was in Neubeuern geschehen ist, nachdem durch die Kriegsereignisse 1945 der Schulbetrieb geschlossen worden war und fast alle Schüler, soweit sie überhaupt noch nach den Weihnachtsferien 1944 wieder zur Schule zurückgekommen waren, von Herrn Dr. Rahm bereits nach Hause geschickt worden waren. Diese Aufgabe fällt mir außerordentlich schwer, weil ich mir seinerzeit und auch seither keinerlei Notizen gemacht habe und mein Erinnerungsvermögen schon stark getrübt ist. Sicher habe ich auch die Erlebnisse verdrängt. Besondere Probleme bereiten mir die Datumsangaben. Obwohl ich eigentlich über den letzten Abschnitt unserer Schulzeit berichten soll, möchte ich doch schon mit der Heimfahrt in die Weihnachtsferien 1944 beginnen. Ich bin mit Werner - glaube ich - Schmidt, der aus Erlangen stammte und im 1. Zug mit knapp 11 Jahren gerade das 1. Vierteljahr an unserer Schule verbracht hat, im Zug von Raubling nach München gefahren. Ich sollte ihn zumindest bis Nürnberg etwas betreuen. Der Eisenbahnzug musste zwischen Rosenheim und München zweimal mitten auf der Strecke anhalten, weil ein amerikanischer Tiefflieger den Zug mit MG-Salven beschoss. Wir haben einmal Deckung unter den Eisenbahnwaggons gesucht, das 2. Mal haben wir uns in einem nahegelegenen Wald hinter Bäumen versteckt. Der Zug konnte glücklicherweise nach Abdrehen des Flugzeugs seine Fahrt fortsetzen. Er fuhr bis zum Ostbahnhof in München, weil in der vorausgegangenen Nacht die Stadt einen schlimmen Bombenangriff erlitten hatte und von dort noch keine Verbindung zum Hauptbahnhof bestand. Wir beide mit unserenTornistern auf dem Buckel hungrig, voller Angst durch die zerstörte, qualmende Stadt zum Hauptbahnhof gelaufen, in der Hoffnung von dort dann weiter mit der Bahn nach Nürnberg zu gelangen. Das ist uns dann auch gelungen. Der Bahnhof in Nürnberg war zwar auch durch Luftangriffe stark beschädigt, aber der Bahnbetrieb war aufrechterhalten. Ich brachte Werner Schmidt in den Zug nach Erlangen und konnte mit der Straßenbahn zu meinem Elternhaus im Süden der Stadt fahren. Gott sei Dank stand unser Haus in der Seuffertstraße noch unbeschädigt, obwohl die Straßenbahn durch schwerbeschädigte Straßenzüge gefahren war. Meine Mutter und meine 3 kleineren Schwestern begrüßten mich mit Tränen. Endlich konnte ich mich wieder einmal richtig satt essen. Ich war abgemagert bis auf die Knochen. Als kleines Geschenk konnte ich ein kleines Säckchen Walnüsse mitbringen, die ich in unserem Schlossberg und bei Nussdorf sammeln habe können. Die nächsten Tage verliefen in Nürnberg ohne weitere Luftangriffe seitens der Alliierten. Es gab lediglich einige Voralarme. Das ging so bis zum 2. Januar 45. Vom Flaksender erfahren wir gegen halb sechs Uhr nachmittags, dass sich größere Luftverbände unserem Luftraum nähern. Bald darauf heulten die Sirenen Vollalarm. Meine Mutter packt eilends den Kinderwagen für meine kleinste Schwester zusammen, drängt zum schnellstmöglichen Anziehen der Kleidung und unter dem drohendem Dröhnen der feindlichen Flugzeuge rennen wir zu einem etwa 400 m entfernten Hochbunker. Dort stauen sich schon die Massen. Wir wurden gerade noch in den überfüllten Bunker hereingelassen, als bereits begann. Wir hörten und spürten die Einschläge von den Bomben und Minen um uns herum. Der schwere Bunker wackelte und ächzte. Die Atemluft wurde unerträglich. Nach etwa eineinhalb Stunden war alles vorüber. Nürnberg hatte einen seiner schwersten Luftangriffe durchgemacht. Vorbei an zerstörten und brennenden Häusern und an den stark beschädigten Fabrikanlagen der Firma Siemens liefen wir nach Haus, in der Hoffnung, dass unsereWohnung noch ganz geblieben war. In der kleinen Strasse von 22 Häusern waren 14 zerstört, teilweise durch Sprengbomben vernichtet, teilweise brannten sie und konnten nicht gelöscht werden, weil die Wasserleitungen ebenfalls zerstört waren. Unser Haus stand noch. Sämtliche Fensterscheiben waren zerbrochen. Die Wände hatten Risse, die Türen waren teilweise zerborsten. Ein tapferer älterer Mann hatte das Haus gerettet, weil er eine Brandbombe, die durch das Dach in eine Bodenkammer geschlagen war, todesmutig durch das zerstörte Fenster auf den Hof geworfen hatte, bevor größerer Brandschaden entstanden war. Am nächsten Tag wurde das Ausmaß der Zerstörung sichtbar. Die nächsten Tage versuchten wir die größten Mängel und Schäden zu beseitigen. Pappdeckel als Fensterscheiben bis endlich wieder teilweise Fensterglas beschafft werden konnte. In unserer Straße wurden über 200 Menschen durch den Angriff getötet. Wir hassten die feindlichen Flieger, die wehrlose, hilflose Frauen und Kinder so feige umbrachten. Wir glaubten auch nicht an den Krieg und gar nicht an den Sieg, den uns die Propaganda immer noch weismachen wollte. Nachdem im Januar und Februar noch mehrere, allerdings kleinere Luftangriffe auf Nürnberg stattfanden, erhob sich die Frage, ob ich überhaupt noch mal nach Neubeuern fahren sollte. Meine Mutter verlangte dies jedoch von mir, weil sie offensichtlich glaubte, wenigstens ein Kind über den schrecklichen Krieg hinwegretten zu können. Ich wollte meine Familie nicht mehr verlassen, musste dann aber meiner Mutter gehorchen. Schweren Herzens bin ich Anfang Februar 45 per Eisenbahn nach Raubling aufgebrochen. Es war eine falsche Entscheidung. Obwohl ein Teil der Jungmannen nicht mehr nach Neubeuern zurückgekehrt waren, hatte der Unterricht und Dienst in der Anstalt wieder begonnen. Ich glaube, dass auch einige Lehrer nicht mehr erschienen waren. Der Vormarsch der Alliierten ging weiter. Im März eroberten die Sowjets trotz härtester Widerstände Ostpreußen, Danzig wurde erobert, die Amerikaner und Briten überwanden den Rhein und rückten auf Frankfurt vor. Aus dem Radio hörte ich am 17. März, dass auf Nürnberg ein weiterer schwerer Luftangriff stattgefunden hat. Ich hatte furchtbare Angst um meine Mutter und meine kleinen Schwestern. Auch von meinem Vater hatte ich das letzte Lebenszeichen Mitte Januar erhalten. Er war von Leipzig aus nach Osten zur Verteidigung zur Armee Schörner abkommandiert worden. Auch um ihn hatte ich große Angst. Es war klar, dass unter diesen Umständen der Dienst und die Schule keine Bedeutung mehr hatten. Ich weiß nicht mehr genau, wann alle Schüler aus dem oberbayrischen Raum nach Hause geschickt wurden. Aber plötzlich war die Schule aufgelöst. Ich erinnere mich nur, dass nur mehr einige Schüler aus der NPEAWien Der NAPOLA „Affe“ ARCHIV 66
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