46 SCHULE Der alte Turm, die Schule, Fluß und Berge, sie blieben so, wie Ihr sie einst gekannt, — nur haben Euch die Zeit und Lebenspflichten zu andremTun, zu andrem Ort gewandt. Doch wer vergißt, wo er als jung einst tollte, wo er gelacht und losen Streich gespielt, wo er, - vielleicht zum erstenmal schon‘ Sorge - doch sicher Lebensernst und -pflicht gefühlt? Das kann man nicht vergessen! Mag Erinn’rung vergolden, was uns einst so schwer gedünkt; daß nur nicht in der grauen Flut der Zeiten‘ der wahre Sinn des Einst zu Boden sinkt! Wie Ihr s gelebt und wie es wir erleben, soll wahr und hell in diesen Blättern stehn und Ihr sollt wieder die Neubeurer Tage, die Euer waren, frisch vor Augen sehn! Das schlingt als Band sich endlos um uns alle, die jetzt hier sind, die voreinst hier geweilt, sodaß Ihr in der Ferne und nach Jahren noch mit uns Leben und Erleben teilt. S. v Kl. Julie Freifrau vonWendelstadt (Mitte) mit ihrer Schwägerin Ottonie Gräfin Degenfeld und ihrer Schwester Dora Baronin von Bodenhausen (li) GEDENKREDE Zum 10. Todestag von Julie Freifrau vonWendelstadt am 12. November 1952 gehalten von Hans Christoph Freiherr von Stauffenberg Heute jährt sich zum zehnten Male der Tag, an dem die blaue Fahne mit den beiden Delphinen, die Fahne der Familie Wendelstadt, für immer vomTurm eingeholt wurde. Heute vor zehn Jahren starb die Freifrau von Wendelstadt, die Gründerin des Landschulheims Neubeuern, und über ihrenTod hinauswirkend, die Stifterin unseres gegenwärtigen Landerziehungsheims in diesem ihrem Hause, in dem wir nun leben. Ich will versuchen, euch, die ihr sie nicht mehr gekannt habt und die ihr wahrscheinlich nur eine sehr unvollkommene Vorstellung habt, von dieser Frau, der wir alle unser Hier-sein-Dürfen verdanken, etwas zu erzählen, um euch wenigstens andeutungsweise einen Begriff zu geben von dem Wesen einer Persönlichkeit, von dem wir uns nur wünschen könnten, daß es in ihrer Gründung und damit in uns möglichst lebendig bleiben möge. Die junge Comtesse Degenfeld stammte drüben aus dem Schwäbischen. Das Schloß Eybach, in dem sie aufwuchs, liegt in einemTal der Schwäbischen Alb unter einem der dort so unvermittelt senkrecht aufsteigenden Kalkfelsen und birgt in seinem Inneren mannigfache Erinnerungen an vergangene Jahrhunderte, in denen die Degenfelds als Soldaten und Diplomaten - mancher an hervorragender Stelle - ihrem Lande dienten. Die junge Gräfin Julie Degenfeld wurde Hofdame in Stuttgart bei der Königin Charlotte von Württemberg. Später heiratete die Comtesse Degenfeld den Freiherrn von Wendelstadt und zog aus der Enge der Schwäbischen Alb auf den das weite Inntal überragenden Schlossberg Neubeuerns. Mit allem diesen Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg möglichem Luxus und Pomp wurde der Mitteltrakt des Schlosses als glanzvoller Rahmen für die junge Herrin neu aufgeführt und damals begann die großzügige Gastlichkeit, die in Neubeuern so viele Menschen und darunter die bedeutendsten ihrer Zeit genossen haben - Hugo von Hofmannsthal, Rudolf Alexander Schröder, Carl Burckhardt - um nur einige zu nennen, gingen hier ein und aus. Nach Jahren des äußeren glanzvollen Glückes kamen nach dem Tod des Barons Wendelstadt 1909 Jahre der Sorge. Und auch diese bitterste menschliche Erfahrung - von anderen, die man geliebt und denen man vertraut hat, enttäuscht zu werden, blieb der FreifrauWendelstadt nicht erspart. Während des Krieges 1914-18 richtete sie in ihremHaus ein Lazarett ein; nach dem Kriege, in den so gänzlich veränderten Verhältnissen nach der ersten Niederlage, die unser Volk in diesem Jahrhundert durchlebt hat, wurde der Rahmen, der durch die Größe des Hauses allein schon gegeben war, zu weit, und so erhob sich die Frage, wie man das Schloß oder wenigstens einen Teil davon einer neuen sinnvollen, einer zeitgemäßen Aufgabe zuführen könne. Schon vor dem Krieg wurde im Kreise von Hugo von Hofmannsthal und ihrem Schwager Eberhard von Bodenhausen über eine Schulgründung (Wilhelm-Ernst-Schule) diskutiert. Ein Freund des Hauses, Baron Herman, gab ihr dann den Rat, hier ein „Schülerheim“ zu errichten - ein absurder Gedanke, wie es zunächst scheinen musste - der aber doch durch die Aufgabe, die sich mit ihm verband, für die Baronin bald etwas Faszinierendes gewann, und den sie dann, in verhältnismäßig kurzer Zeit sich entschließend und handelnd, schnell in dieTat umsetzte. Sie berief Herrn Direktor Rieder aus Zuoz, der in wenigen Jahren Schule und Heim zu dem ausbaute, was Neubeuern vor dem Krieg den weit über die Grenzen des Landes hinausdringenden Ruf verschaffte. Ich habe dieses damalige Landschulheim Neubeuern fast von seinen Anfängen an als Schüler gekannt und erlebt und doch wüsste ich kaum zu sagen, worin dieses 3
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