Jahrbuch_2020-21

61 SCHULE tig den Berg hinaufkamen und noch die nötige Zeit für das Duschen fanden. Um 13.00 gab es Mittagessen, um 13.30 fand der „Appell“ auf derTerrasse statt, bei demder Direktor oder ein Lehrer die erforderlichen Informationen bekannt gab, die Post verteilt wurde und man sich für den Nachmittag abmeldete. Unmittelbar nach dem Appell musste man im Zimmer - meist auf dem Bett - eine halbstündige „Schweigezeit“ einhalten (für mich der erholsamste Teil des Tageslaufes), um dann bis 16.00 je nach Wochentag entweder mit zwei anderen Jungen spazieren zu gehen oder wieder Sport zu treiben (Hockey, Tennis, Schwimmen, Leichtathletik). Am Mittwoch gehörte der Nachmittag dem Dienst in der „Hitlerjugend“. Nach einer kurzen Teepause folgten bis 19.00 die drei Arbeitsstunden (Schularbeiten für den nächsten Tag). Mit einer halben Stunde für das Abendbrot und der so genannten Freizeit, je nach Altersstufe bis 21.30 oder 22.00 klang dann der Tag aus. Auch das „Licht aus“ wurde kontrolliert. In der Schule kam ich in die sechste Klasse, wie man in Bayern sagte (Untersekunda in Berlin). Wie das bei dem föderalen Schulsystem in Deutschland beinahe immer so ist, stimmten die verschiedenen Lehrpläne nicht überein, so dass ich in manchen Fächern weiter war, in anderen erheblichen Stoff nachzuholen hatte. Da wir Latein beim Direktor Rieder hatten, der besonders hohe Anforderungen stellte, und vor dem ich eine panische Angst hatte (kam ich dran, spürte ich oft Angstschweiß den Rücken hinunterlaufen), holte ich auf und hielt mich dann ganz gut. Turnen in der Halle war dagegen hoffnungslos: ich höre noch das laute Brüllen unseres Lehrers Dietz, der die wenigen Schwächlinge unter uns bei der Ehre packen wollte. („Schleimscheißer“ hallte es dann durch den Raum.) Dazu muss man aber sagen, dass dieser Mann sich voll und ganz für die körperliche Ertüchtigung der Jungen einsetzte und dabei auch große Erfolge hatte. Durch die vielen Turn- und Sportstunden hatte er überdurchschnittliche Leistungen erzielt und die große Mehrheit der Schüler waren stolz auf diese Leistungen. Wenn ich zum Boxen die schweren Boxhandschuhe angeschnallt bekam und die Brille ablegen musste, wusste ich schon, dass die nächsten Schläge meines Partners mich auf die Matte warfen, obwohl ich mir als Partner meinen Freund Castell ausgesucht hatte, in der stillen Hoffnung auf Gnade vor Recht! Für so etwas war Lehrer Dietz (genannt Wadi) nicht zu haben. Eine reine Katastrophe war für mich das Skifahren, das ja auch die Turnnote beeinflusste. Allerdings muss ich sagen, dass es gar keinen richtigen Ski-Unterricht in meiner Altersstufe gab, da man in Neubeuern Skifahren für eine Selbstverständlichkeit ansah. Wohl hatten wir am Schlossberg eine Übungsschneise, schmal und steil. Wenn ich sie heutigen Skifahrern zeige, dann schlagen die die Hände über dem Kopf zusammen. Die Winter im Inntal waren nicht sehr schneereich, der regelmäßig einfallende Föhn ließ rasch die weiße „Pracht“ wieder tauen. Aber an den Wochenenden ging es mit den „Kameradschaften“, von denen ich später berichten werde, in höhere Regionen hinauf und eine ganze Woche mussten wir imWinter in eine Skihütte, um dort nach „Herzenslust“ Ski zu fahren. Der Höhepunkt desWinters war dann - ohne mich - die Schulmeisterschaften, in denen sich die Besten messen konnten. Und was waren das für Ski-Künstler!! Ich dagegen... oh Gott! Ski-Lifte gab es noch nicht, also stieg man, Felle unter die Bretter geschnallt Stunde um Stunde, meist in hohem Schnee bergan, besonders anstrengend, wenn man noch einen Rucksack zu schleppen hatte. Dann, noch schlimmer die Abfahrt: Ich erinnere mich, dass ich mir Jahr für Jahr die hölzernen Skispitzen mindestens einmal dadurch abbrach, da ich nicht die Kraft hatte, die Bretter immer parallel zu halten und, sie daher über Kreuz gerutscht, bei einem Sturz kopfüber brachen. Für diesen Fall hatten wir dann metallene kleine Spitzen dabei, die man an das gebrochene Stück anschraubte, um wenigstens notdürftig wieder bergab zu kommen. Besonders ekelhaft ist mir eine Skitour zur Firstalm im Spitzinggebiet in Erinnerung, wo wir im dichten Nebel erschöpft von dem Aufstieg in knietiefem Neuschnee oben am Berg angekommen, uns schnellstens zur Abfahrt vor der einbrechenden Nacht bereit machen mussten. An Ausruhen in dem hohen Schnee war nicht zu denken, die Ersten stürzten sich bereits bei wenigen Metern Sicht den Hang Richtung Hütte hinunter! Ich höre nur noch die Anweisung des Lehrers an einen guten Skifahrer, Hermann, als Letzter zu fahren und ehe ich nur richtig Luft in dem Schneegestöber geholt habe, bin ich alleine. Nun nahm ich natürlich alle meine Kräfte und Sinne zusammen, um heil dort hinunter zu kommen, wo ich die letzten Gestalten schemenhaft verschwinden sah. Bei meinen Skikünsten dauerte es nicht lange, bis ich im tiefen Schnee lag, mich hochrappelte, wieder lag, erneut auf und nach dem dritten Sturz, spürte: Die Spitze des rechten Skis war irgendwo im tiefen Schnee verschwunden. 18

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