Jahrbuch_2020-21

62 SCHULE 19 Liegenbleiben brachte nichts, die Nachhut war weit und breit nicht zu sehen. Rufen half bei dem zunehmenden Sturm nicht. Also auf und mit kleinsten Schritten, den verkürzten Ski immer mit großer Anstrengung hebend abwärts hatschen. Obwohl das nicht lange ging, war ich doch völlig erschöpft. Aber ähnliche Erlebnisse hatte ich in den Neubeurer Wintermonaten öfters, immer endeten sie mit Erschöpfung. Nur ließ ich mir das möglichst nicht anmerken - und das war gut so. Denn bei all meinem Hass gegen das Skifahren, gewann ich die richtige Einstellung, damit zurecht zu kommen. Konnte ich damals ahnen, dass ich nur wenige Jahre später, im Kriege als Einheitsführer mit meiner Mannschaft im Hochgebirge auf das Skifahren angewiesen war? Keine Freude hatte ich auch bei dem nach englischem Muster in Neubeuern betriebenen Pflichtsport Hockey. Allein dieser Schläger, über den ich stolperte oder den ein Gegner mir an das Schienenbein rammte. Ich wurde meistens in der Verteidigung postiert, musste mich also den Schlägerschwingenden Gegnern entgegen werfen, oder mit zusammengebissenen Zähnen den heranpfeifenden unendlich harten Hockeyball zu stoppen suchen. Musste ich dieses kleine Ungeheuer fortschlagen, flogen Rasenfetzen und ein Loch blieb zum Ärger der Fachleute im Rasen zurück. Auch das Schwimmen, das ich von Haus aus mochte, war in dem damaligen Neubeurer Schwimmbad nicht die reine Freude. Ein vom Dandlberg herabkommender Bach (heute schon lange drainiert oder ausgetrocknet) war aufgestaut und mit recht rohen Pfosten, Balken und Brettern eingefasst. Unter Dach gab es einige Umkleidekabinen und eine Besonderheit, die Erwähnung verdient. Ein Bereich, schon über dem Wasser, war durch hölzerne Wände und eine meist verschlossene Tür abgeteilt. Darin eine Bank und einige Holzstufen, die ins Wasser hinabführten. Man erklärte mir, das sei das Bad von Hochwürden, dem katholischen Ortspfarrer, der dort, von seinen Schäfchen getrennt ins kühle Nass steigen konnte. In diesem hölzernen Schwimmbecken, in demwirWettkämpfe austrugen, holte ich mir öfters Holzsplitter, die ich dann mühsam wieder aus den Fußsohlen herauspulen musste. Das war aber nur das Schulschwimmen. In unserer Freizeit konnten wir mit Rädern an den so genannten RAB -See (Reichsautobahn-See), fahren, eine große Kiesgrube unmittelbar in der Nähe der Autobahn, aus der Material für den Straßenbau entnommen worden war. Dort hatte sich glasklares Wasser angesammelt, es war auch wärmer als unser Bach. Beim Schwimmen fällt mir noch ein unerlaubtes Tun ein. Nicht weit unterhalb des Schlossberges floss ja der inzwischen begradigte und regulierte Inn vorbei. Oft waren wir, sei es mit der Kameradschaft oder der H.J. oder auch in der Freizeit mit anderen Buben in den Innauen. Dichtes Gehölz und Gestrüpp wuchs zwischen dem Hauptdamm und einem zweiten Flussdamm, der bei Hochwasser die nahe liegenden Felder und Gehöfte schützen sollte. Dort tummelten wir uns gerne, machten auch wohl Feuer für ein Wettkochen. Ging man an den mit Steinen befestigten Damm heran und kletterte drüben zum Wasser herunter, so hörte man ein leises Singen. Der aus dem Gebirge mit starker Strömung herausdrängende Fluss führt ständig sog. Geschiebe, Steine, Sand und Holz mit sich, was dieses Geräusch verursacht. Das Baden im Fluss, dessen Strömung und Wirbel unberechenbar waren, war selbstverständlich strikt verboten, ein Grund für Jungens unseres Alters es zu versuchen. Nur sehr kräftige Schwimmer wagten einige wenige Stöße, um dann umzukehren und erst zwanzig, dreißig Meter weiter unterhalb sich an einen Ast klammernd wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Feigheit ist in einer solchen Gesellschaft ganz schlimm und so ließ ich mich nackt in das eisige Wasser gleiten, nicht ohne vorher einen überhängenden festen Ast zum Halten ausgesucht zu haben. Die reißende Strömung, der helle Sington und das eisige Wasser, besonders aber das wieder unbeschädigte Herausklettern zum Schluss brachte dieses wohlige und stärkende Gefühl bestandener Gefahren. Natürlich war es Ehrensache, niemals darüber zu sprechen oder gar nach Hause zu schreiben. Ein kleiner Pluspunkt bei den Leibesübungen war im Sommer die Leichtathletik. In den meisten Disziplinen lag ich auch dort weit hinten. Eine Ausnahme machte das Hochspringen und der Langstreckenlauf. Hochsprung förderten meine langen, wenn auch nicht kräftigen Beine, deretwegen ich, mangels eines besseren Spitznamens, „Storch“ genannt wurde. Und beim Langstreckenlauf siegte wieder, wie schon im Arndt-Gymnasium, meinWille über die Konstitution. Ein großes Erfolgserlebnis war für mich, ich glaube im Sommer 1938, der „Lauf durch Rosenheim“, ein Staffellauf, zu dem das Landschulheim Neubeuern zwei Mannschaften gemeldet hatte. In der ersten Mannschaft waren alle unsere Spitzensportler, in der zweiten durfte ich mitlaufen. Die erste wurde Sieger, wir von der zweiten immerhin Dritter. Soviel vom Sport. Das Leben im Landschulheim wurde neben der Schule besonders durch die „Kameradschaften“ geprägt. Schon seit der Gründung des Heimes im Jahre 1925 hatte die Leitung Wert auf kreative kleinere Gemeinschaften gelegt, die möglichst auf freiwilliger Basis die Freizeit gestalteten. Geeignete Lehrer oder Erzieher

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