63 SCHULE 20 stellten sich zur Verfügung, um die herum Schüler verschiedener Klassen eine Kameradschaft bildeten. Anfänglich schloss ich mich der Kameradschaft Herold an, später war ich bei der von Dr. Karl Wüst, den ich schon erwähnt habe, einem dynamischen Junggesellen, der den notwendigen Idealismus für eine solche Aufgabe mitbrachte. Während etliche Kameradschaften sich einem Projekt widmeten (Bau einer Hütte auf dem Burghügel bei Altenbeuern, Bau von Forellenteichen und Zucht von Forellen, Gestaltung eines Badeplatzes am RAB-See oder besondere sportlichen Aktivitäten), schätzte ich bei Dr. Wüst, dem Altphilologen, seine umfangreichen Kenntnisse der Antike. Aus seinen vielen Reisen in die Mittelmeer-Länder brachte er Dias und Photos mit, an denen wir uns an kalten Winterabenden erfreuten. Er organisierte auch Fahrten in die nähere Umgebung und in den Süden und einmal im Jahre 1938, wohl auf meine Anregung, die er energisch aufgriff und durchführte eine Radtour durch Ostpreußen. Da ich das Glück habe, die Schulzeitungen, die jährlich zum Sportfest vor den großen Ferien erschienen, noch zu besitzen, blättere ich jetzt, da diese Zeit vor meiner Erinnerung vorüberzieht, in ihnen. Natürlich liest man nach nunmehr fast sechzig Jahren vieles anders als früher. Man muss ja bedenken, dass diese Landschulheim-Zeit in meinem Alter von 14 -16 eine aufwühlende Erfahrung brachte: Die Trennung von daheim, der Druck, sich in der Gemeinschaft zu bewähren, das in allen kleinen Dingen des täglichen Lebens Selbstentscheiden! In diesen Zeitungen haben so manche Mitschüler ihre ersten Erfahrungen in einer Heimschule offen angesprochen, und ich stelle fest, fast alle hatten die gleichen Schwierigkeiten wie ich, selbst wenn sie später als Führungskräfte geradezu vorbildliche Arbeit im Heim geleistet haben. Und bemerkenswert ist auch, dass alle diejenigen, die die Anfangsprobleme gemeistert haben, die Neubeurer Zeit alsdiewertvollste für ihrweiteresLeben bezeichnen. Nicht anders ist es mir ergangen. Ich weiß schon lange, dass ich die körperlichen und seelischen Strapazen der Kriegs- und Nachkriegszeit ohne die Erfahrungen in Neubeuern nicht ausgehalten hätte. Ich muss das an dieser Stelle betonen, weil der Leser anhand meines „Jammerns“ den falschen Eindruck bekommen müsste, das damalige Leben sei eine einzige Qual gewesen. Das heißt nun nicht, dass es neben der Arbeit im Internat keine Abwechslungen und erfreuliche Erlebnisse gab. So werde ich durch einen Brief an den Pfingstausflug auf den Heuberg erinnert, an die Jagdhütte der Baronin Wendelstadt, die sie der Schule für Ausflüge und Wanderungen zur Verfügung gestellt hatte: Am Sonnabend vor Pfingsten fuhren wir mit dem Rade nach Nussdorf, kauften dort Proviant ein und stiegen dann den Heuberg empor. Es ging sehr hübsch und lieblich durch hohe Buchenwälder an kleinen Kapellen und Kirchlein vorbei. Nach einer Stunde Marsch langten wir bei unserer Hütte an. Sie liegt wirklich malerisch in einer Mulde am Berg. Die Sonne schien schön und so ließen wir uns noch ordentlich bescheinen. Als es dunkel wurde, gab es bei Kerzenschein (keine Elektrizität) ein kaltes Abendbrot, welches uns vortrefflich mundete. Dann unterhielten wir uns noch am flackernden Kaminfeuer (nachts wurde es verdammt kühl dort oben), bis alle müde auf ihre Bettstatt krochen. Am nächsten Morgen wurden wir durch lärmende, johlende KdF-Scharen (Kraft durch Freude), die durch das Tal zogen, geweckt. Draußen war herrlichstesWetter, tiefblauer Himmel und eine toll heiße Sonne. Aber es wehte auch ein kräftiger Wind. Den ganzen Vormittag in der prallen Sonne gelegen. Es ist mir aber sehr gut bekommen. Am Nachmittag erstiegen wir die „Wasserwand“-Südseite. Die erste Kletterei in meinem Leben! Zuerst hatte ich nicht viel Zutrauen zu der Geschichte, aber als es sehr steil ging, da merkte ich doch, dass ich wirklich schwindelfrei bin. So hat mir das Klettern, besonders der Abstieg (wozu ich besser wegen meiner langen Beine befähigt bin) viel Freude gemacht. Oben hatte man einen Blick, der gar nicht zu beschreiben ist. Die Hohen Tauern, die Zillerthaler Alpen, ja bis zu den Schweizer Bergen konnte man mit einem guten Glas sehen. Auf der anderen Seite, weit hinter der Ebene waren die Umrisse des BayerischenWaldes! Ach, ich möchte Euch Griebenern das unbedingt einmal zeigen. Im Laufe meines Lebens bin ich dann noch häufig auf den Heuberg gestiegen, ja meine Enkel sprechen immer von „Opas Lieblingsberg“. Es ging sogar erst kürzlich mein Wunsch in Erfüllung, anlässlich meines 75. Geburtstages mit der ganzen Familie dorthin zu wandern. vgl. GRONAU S. 97-137
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