90 SCHULE 47 Kriegsbeginn 1939 - Stiftungsgründung 1948 Im Rahmen der Projekttage 1992 hat sich eine Gruppe von Schülern unter der Leitung Herrn Orlowskis und Herrn Al-Milis mit der Haltung des Internats Schloß Neubeuern während des 3. Reiches auseinandergesetzt. Hier nun eine Darstellung, wie sich die Zeit 1939-41 für mich anhand der vorhandenen Quellen darstellte. September 1939: Kriegsausbruch. In den Schulen wird der Unterricht so gut als möglich fortgesetzt, eingezogene Lehrer versucht man zu ersetzen. Unter dem Schatten des Krieges wurde September 39 der Schulbetrieb auch im Schloß Neubeuern wieder aufgenommen. Für die ausländischen Schüler war die Anreise zum Schulbeginn erschwert oder völlig blockiert. In dem bisher rein männlichen Lehrerkollegium ersetzten nun weibliche Lehrkräfte die zum Militär einberufenen Lehrer („Wir mußten dazu übergehen, weibliche Lehrkräfte in unseren bisher männlichen Lehrkörper aufzunehmen“ Dir. Rieder). Einige Schulbänke waren unbesetzt geblieben aus den genannten Gründen ebenso wie aufgrund der freiwilligen Meldungen zum Wehrdienst. Zwar hatten die Schüler nun bei den Aktivitäten der Hitlerjugend mitzuwirken, jedoch fanden sie bald Gefallen an dem bei derlei Treffen herrschenden Gemeinschaftsgefühl. Zusätzlich bekam die Schule vom Ministerium einen nationalsozialistischen Heimleiter geschickt, der zusammen mit dem Blockwart des LEHs (einem Lehrer) sowohl als Vermittler bzw. Propagandisten der neuen politischen Weltanschauung als auch als Informationsquelle für die NSDAP zur Kontrolle des politischen Geistes des Hauses gedacht war. Natürlich gehörten ab diesem Zeitpunkt zumTagesablauf auch die unzähligen Diskussionen und Informationsweitergaben vom Kriegsgeschehen. Nun kam es bei derlei Gesprächen auch zu unbedacht und leichtsinnig geäußerten, negativen Bemerkungen über den Nationalsozialismus bzw. NSDAP-Parteimitglieder. So mußten die Leiter der Schule, Baronin von Wendelstadt und Direktor Rieder, öfter vor den Folgen unbedachter Meinungsäußerungen warnen. Anfang November 1939 fand nun ein Gespräch zwischen dem NS-Heimleiter und einem adligen Schüler Neubeuerns statt. In diesem ging es um den Ausgang des Krieges, wobei der Heimleiter die Meinung vertrat, daß im Falle einer Niederlage Deutschlands wohl eine englische Monarchie eingerichtet würde; der Schüler, ein Patenkind des im Exil lebenden Wilhelm II, äußerte daraufhin leichtsinnig, daß er sich in dem Fall Deutschland als Verlierer wünsche. Obwohl der Heimleiter diesen Kommentar in demselben Moment nur mit einem Drohen des Fingers bedachte, hielt er es später jedoch für ratsam, sowohl Direktor Rieder als auch den Blockwart zu informieren. Dir. Rieder reagierte so wie er es immer tat. Er rief den Schüler zu sich und machte ihn auf die Folgen derlei Äußerrungen aufmerksam und erteilte ihm eine strenge Ermahnung. Der Vorfall schien fast vergessen zu sein, als kurz darauf in München am 8.11.1939 ein Attentat auf Hitler (Georg Elser) verübt wurde. Der Blockwart rief in seiner Wut über das Attentat den Schüler zu sich, um in seinem Bereich strafend zu reagieren (Sündenbock). Das Ergebnis eines solchen Verhörs kann man sich leicht ausmalen! Der Schüler wurde von den 4 ebenfalls anwesenden Lehrern für schuldig befunden. Kurz nach diesem Vorfall wurden zwei weitere Fälle ruchbar. So hatte ein Schüler auf die Verlesung von Namen gefallener SS-Männer mit den Worten reagiert: „Gottseidank, wieder 7 von diesen SS-Schweinen weniger“. Von einem NS-Schüler zur Rede gestellt, nahm er seine Äußerung zurück und entschuldigte sich. Auch diesmal kümmerte sich Dir. Rieder persönlich um die Klärung der Angelegenheit. Doch der Blockwart ließ es sich nicht nehmen, die Einberufung einer Lehrerkonferenz zu veranlassen, ohne bei Dir. Rieder diesbezüglich rückgefragt zu haben. Auch benachrichtigte er den Ortsgruppenleiter über diese Vorfälle und das Stattfinden einer Lehrerkonferenz. über die er zu einem späteren Zeitpunkt ihm schriftlich Bericht erstatten wolle. Diese Vorgehensweise des Nazi-Blockwarts zwang Dir. Rieder, sich in der Lehrerkonferenz vom 13.11.1939 als strenge Autoritätsperson für die Entlassung der Schüler auszusprechen. Er schreibt später über diese Konferenz: „Es wäre mir lieb gewesen, wenn ich bei der Beurteilung der Schüler mehr als Erzieher hätte handeln dürfen: das konnte ich aber nicht mehr, da von dem Blockwart schon die politische Polizei benachrichtigt worden war. Ich glaubte also ein Urteil fällen zu müssen, wie der strengere Maßstab der Partei es erfordern würde.“ Drei NS-Lehrer der Schule entschieden sich nach der Konferenz, die Schule zu verlassen. In den Gestapo-Akten wird diese Handlungsweise folgendermaßen ausgelegt: „In Anschluß an diese Vorgänge, kündigten die NS-Lehrer, weil sie es ablehnten, in einer solchen Anstalt weiter zu wirken.“ In den Schulakten liest es sich jedoch anders, hier sieht man es als Konsequenz des fehlenden Vertrauens von Seiten der Schülerschaft den Lehrern gegenüber. (vgl. S. 43-44) Der Ortsgruppenleiter verständigte den Landrat in Rosenheim über die Vorfälle in Neubeuern. Aber eben dieser Landrat hatte selber einen Sohn in Neubeuern. Der Blockwart des LEHs, der sich der guten Beziehungen des Internats zu den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft bewußt war, veranlaßte den Ortsgruppenleiter, auch die Gestapo in München zu informieren. Alle Bemühungen des Landrats, ein Eingreifen höherer Stellen zu verhindern, mißlangen. So beabsichtigte die Gestapo 2 Personen am selben Tag noch nach Neubeuern zu schicken. Diese erschienen jedoch nicht, woraufhin der Ortsgruppenleiter den Reichsleiter Bouhler in Nußdorf verständigte. Der Neubeuern wohl gesonnene Landrat war nun seines Einflußes auf die folgende Untersuchung gänzlich be-
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