Jahrbuch_2020-21

91 SCHULE raubt. Zur entgültigen Klärung des Falles wurde der Stabsleiter Klein vom Ministerium geschickt, welcher jedoch lediglich den Blockwart tadelte, daß dieser vor der Benachrichtigung des Ortsgruppenleiters nicht Dir. Rieder eingeweiht habe, bewunderte das Schloßgebäude und schloß die Untersuchung ab. Kurz darauf wurde vom Ministerium die Entlassung der Schüler zurückgenommen. Die prekäre Situation Dir. Rieders lag jedoch nicht nur in den Vorfällen 1939-40 begründet, sondern es existierten mehrere Gründe, weshalb das LEH keinen guten Ruf bei den Nazis hatte, die Vorfälle machten nur einen geringen Teil davon aus. Erstens war die Schule Schloß Neubeuern eine Privatschule, mußte also stets Angst vor einer Übernahme durch den Staat haben. So sah das 25-Punkte-Parteiprogramm der NSDAP von 1920 die Kontrolle des Schulwesens durch den Staat vor. Nach der Machtübernahme der Partei 1933 wurden nicht wenige Schulen in politisch- orientierte Ordensburgen oder Adolf-Hitler-Schulen umgewandelt, die den Parteinachwuchs ausbilden sollten. Unter anderem steht in dem Programm unter Nr. 20 auch. daß die Ausbildung von Kindern armer Eltern ohne Rücksicht auf deren Stand oder Beruf auf Staats- kosten gefordert werden soll. Und in diesem Punkt ging das Schloß Neubeuern völlig konträr. Die Schülerschaft hier bestand 1938 zu 40% aus Mitgliedern des Hochadels, der restlicheTeil stammte aus Familien des Großbürgertums, die viel Geld für die Erziehung ihrer Kinder bezahlten („Etwa ein Drittel ist ausgesprochen degeneriert bzw. abnorm. Ein weiteres Drittel ist unansehlich, wenig begabt und körperlich schlecht imstande. Ein Drittel sind überzüchtete, doch gutaussehende, meist blonde und blauäugige Adelssprößlinge von zweifellos hoher Intelligenz und guter Begabung.“ Gestapo-Akte). Dieser Zustand lag begründet in den Anfängen der Schule. Die Idee, die Schloßräumlichkeiten einer Schule zur Verfügung zu stellen, entstand anfangs aus einer finanziellen Notlage heraus, die bald aber von dem pädagogischen Interesse der Baronin in den Hintergrund gedrängt wurde. Eine Aufnahme in diese Schule, die zu Beginn von Kindern aus dem Bekanntenkreis der Baronin besucht wurde, war nur durch Empfehlung zu erreichen. In den Gestapo-Akten wurde allerdings der Ursprung der Schule nur in dem „privatkapitalistischen Interesse“ der Baronin gesehen, welche ihren Lebensstandart, der nach der Inflation zwar ihrem Stand gemäß war, aber nicht mehr ihren Verhältnissen entsprach, mit aus den Schulgeldern finanzierte. Man darf jedoch nicht vergessen, daß die Idee, die Schule in eine Stiftung umzuwandeln. schon zu Lebzeiten der Baronin entstanden war, jedoch erst hei der Wiedereröffnung des Internats 1948 nach dem Tode der Baronin verwirklicht wurde. Zusätzlich zu dem Problem der Zusammensetzung der Schülerschaft kam noch die Unzufriedenheit der NSDAP mit den Leitern der Schule. Dir. Rieder sah sich stets eher als pflichtbewußter Staatsbürger (zu welchen er auch die Schüler zu erziehen versuchte), anstelle eines pflichtbewußten Nationalsozialisten. Dies zeigte sich auch, wenn er sie anstelle des Deutschen Grußes mit „GutenTag“ begrüßte („Dir. Rieder gilt als hervorragender Schulmann und Pädagoge, doch ist er betont unpolitisch und fühlt sich nach seinen eigenen Worten ausschließlich als „Erzieher“, ohne sich um Politik und Weltanschauung zu kümmern. Er ist deshalb außer Stande, die allenthalben bemerkbare oft stark hervortretende reaktionäre Gesinnung und betont feudale Haltung der Schülerschaft nachhaltig in nationalsozialistischem Sinne zu lenken und zu beeinflussen.“ Gestapo-Akte). Dieses Mißtrauen über die NS-Gesinnung Rieders spiegelt sich in einer Eintragung in der Gestapo-Akte über Neubeuern wider, wo von einer privaten Äußerung berichtet wird, die folgendermaßen lautete: „So kann es nicht weitergehen. Wir stehen vor einem Bürgerkrieg. Auch würde die Intelligenz derart unterdrückt, daß man sich nicht wundern solle wenn es einmal aufgehe.“ Man unterstellte ihm nun, durch den Zeitpunkt der Äußerung (einen Tag vor dem Attentat auf Hitler) bestätigt. schon von dem Attentat gewußt zu haben, was völliger Unsinn ist, da es sich um die Tat eines Einzelgängers handelte. Der Fortbestand der Schule weitere 2 Jahre war mit Sicherheit den guten Beziehungen der Schule (sogar bis in Parteikreise) zu verdanken. Als jedoch 1940 während eines Werbevortrags, gehalten von einem Obersturmbannführer derWaffen-SS über diesen von einigen Schülern abfällige Bemerkungen gemacht wurden, und diese von dem Sohn eines hohen, NS-Funktionärs arglos zu Hause wiedererzählt wurden, konnten auch die einflußreichen Freunde Neubeuerns den Schlag gegen das Internat nicht mehr abfangen. Am 11. Februar 1941 wurde das LEH Neubeuern geschlossen. Am 13. Februar 1941 reiste Direktor Rieder zwar noch nach Berlin, um die sofortige Schließung der Schule rückgängig zu machen, doch auch das Gespräch mit Reichsleiter Bouhler konnte an der Entscheidung nichts ändern. Die Schule wurde geschlossen und das Schloß ein Jahr später von der Baronin an das Deutsche Reich verkauft, um so der unentgeltlichen Übernahme eines Parteimitglieds oder der NSDAP zuvorzukommen. Im selben Jahr des Verkaufs wurden noch Umbauten vorgenommen, für den im September 1942 beginnenden Internatsbetrieb einer nationalpolitischen Erziehungsanstalt. Nach einem 3-jährigen Leerstehen des Schloßkomplexes nach 1945 finden sich Altneubeurer wieder zusammen und lassen das Landschulheim Schule Schloß Neubeuern 1948 neu entstehen. Beim diesjährigen Sommerfest hatte ich Gelegenheit mit Altschülern aus dieser Zeit von 1933 bis 1941 zu sprechen und es hat mich stark beeindruckt, auf welch hilfsbereite Art und Weise sie Zeit opferten, um mir ihre Sicht die damaligen Verhältnisse näherzubringen. Immer wieder lernte ich dieses starke Zusammengehörigkeitsgefühl, das sie noch nach so vielen Jahren als 100% Neubeurer fühlen läßt, bewundern. Dr. Siegfried Pfitzenmaier Stiftungsvorstand 48

RkJQdWJsaXNoZXIy OTQ4NjU5